papierflieger / luft. Gedichte. – Jörg Zemmler
Um aus einem Blatt Papier ein Gerät zu erschaffen, das fliegt und sein Ziel erreicht, bedarf es neben dem Know-How vor allem Präzision. Dasselbe gilt für einen gelungenen Gedichtband.
Mit komm / mit lädt die erste Seite von Jörg Zemmlers papierflieger zur nächsten ein. Auf jeder Seite findet sich ein meist aus wenigen Worten bestehendes Gedicht, das Raum für die eigene Fantasie lässt. Insgesamt sind es viele kurze Texte, die aufeinander Bezug nehmen, gleichzeitig ist es ein langer Text, ein Gesamtbezugsgeflecht zwischen zart türkisen Buchdeckeln, in welches man jederzeit an jeder Stelle einsteigen kann. Seitenzahlen gibt es darin nicht, nicht weil die Anordnung zufällig ist, sondern weil die Worte eine leere Seite brauchen so wie ein Papierflieger die Luft.
Die Worte stehen da wie Noten auf einem unsichtbaren Notenblatt und ergeben eine atonale, lakonisch-melancholische Melodie, die typisch für den Autor (und Musiker) Jörg Zemmler ist. In Streiflichtern erzählt er von einer Welt, in der nichts in Ordnung zu sein scheint: der regen / kam nicht aus / es regnete / nie mehr. Er stellt existentielle Fragen (wovon leben / wovon träumen / ist das / nicht / dasselbe) und gibt unbequeme Antworten (die wahrheit / kannst du / weder kennen / noch leugnen), er spielt aber auch mit den LeserInnen: da musst du schon mit / sonst bleibst du noch da.
Mitkommen empfiehlt sich unbedingt, auch wenn Jörg Zemmlers Gedichte über das Leben ein wenig schmerzen. Doch wenn sie nicht schmerzten, wären sie nicht so schön.
Dieser papierflieger fliegt richtig gut.
Barbara Rieger, 2016
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich.
Jörg Zemmler: papierflieger / luft. Gedichte
Wien: Klever Verlag, 2015
224 Seiten
EUR 19,90
ISBN: 978–3‑902665–99‑7