Immer eine Frage der Verwendung“

Ein Inter­view mit Erika Kronabitter

Die Corona-Gegen­wart erlebt eine Hoch-Zeit an Internet-Perfor­mances. Denn solange Kultur im öffent­li­chen Raum, wie wir ihn bis jetzt kannten, nicht statt­finden darf, bahnt sich Krea­ti­vität ihren virtu­ellen Weg. Wir fragen unsere Dozent­Innen nach ihrem Verhältnis zum Internet.

BÖS: Ist das Internet für dich mehr Fluch oder Segen?

Erika Kronabitter: Die Email- und Werbe­flut, die Gefahr des „gläsernen Menschen“ und das Sucht­po­ten­tial sind zwar Fluch, trotzdem möchte ich das Internet und die verschie­denen Möglich­keiten, welche damit verbunden sind, nicht mehr missen.

Die Frage ist, wann wer was und wie anwendet und anwenden muss. Wenn Schulen, wie unsere letzte Bildungs­mi­nis­terin schwa­dro­nierte, flächen­de­ckend mit Laptops ausge­stattet werden sollen, wenn also „Digi­ta­li­sie­rung first und Denken second“ propa­giert wird, ist das der falsche Weg. Die Politik müsste längst schon begreifen, wie sich das Internet gesell­schafts­po­li­tisch auswirkt und muss sich auch der Verant­wor­tung bewusst sein. Digi­ta­li­sie­rung und Internet ermög­li­chen, richtig ange­wendet, eine immense Bildungs­er­wei­te­rung. Wie wir aber wissen, ist die Digi­ta­li­sie­rung und das Internet auch eine ernst­zu­neh­mende Gefahr für die Demo­kratie, wird miss­braucht und verwendet für Wähler­ma­ni­pu­la­tion, Fake-News, Hass­pos­tings et ecetera.

BÖS: Wann verwen­dest du für Deine Arbeit das Internet?

Erika Kronabitter: Mein Brief­kasten ist mehr oder weniger ein digi­taler Brief­kasten. Lese­ein­la­dungen, Anfragen, Work­shops, Manu­skript­ver­sen­dung an den Verlag, Korrek­turen. Das Internet ist in allen Lebens­be­rei­chen hilf­reich:  Ob es sich um die Recherche für einen Roman handelt, Kennen­lernen von Biogra­fien, eines Landes, Musik, Eintau­chen in Abar­tig­keiten, Histo­ri­sches, sogar Rezepte habe ich im Internet gesucht, gefunden und ange­wendet. Neuer­dings gab es Lese­auf­tritte, Lite­ra­tur­sen­dungen und –videos übers Internet, die man sich so vor zwei Monaten nie vorge­stellt hätte.

BÖS: Wie stehst du zu den Themen Home-Schoo­ling und Home Office?

Erika Kronabitter: Die Frage nach dem Home-Schoo­ling hat es auch schon ohne Internet gegeben. Es gab schon vor Corona Vorwürfe an die Schulen in Bezug auf vertrö­delte Zeit und dass ein Kind zu Hause inner­halb viel kürzerer Zeit gewisse Inhalte lernen könne. Ein wich­tiger Aspekt für Live-Schoo­ling ist die soziale Kompe­tenz, die im realen Leben erlernt werden muss. Dessen muss sich auch die Politik bewusst sein: Junge Menschen erlernen in der Gemein­schaft vielerlei Fähig­keiten, lernen Verhal­tens- und Denk­kon­zepte kennen, kleinste Reak­tionen, Stim­mungen, die „in der Luft“ liegen, lernen Diver­si­täten kennen und auszu­halten. Es geht um Tole­ranz, Freund­schaft, Erotik, Bezie­hungen. Um so vieles, das in der Schule ganz nebenbei mitge­lie­fert wird, ein Mehr­wert, vom welchem nie gespro­chen wird. Auch Ausein­an­der­set­zung, Akzep­tieren von Vorge­setzten (Lehr­person), Umgang mit Lob und Kritik, Erfül­lung von Aufträgen. Manche Kinder finden nur in der Schule die Möglich­keit der An- und Aussprache, auch Schutz vor einem gewalt­tä­tigen Eltern­haus durch aufmerk­sames Lehrpersonal.

BÖS: Kommt in deiner idealen Welt das Internet vor oder geht es ganz ohne?

Erika Kronabitter: Konkret habe ich mir über „meine“ ideale Welt keine Gedanken gemacht. Viel­leicht waren die letzten acht Corona-Wochen meine ideale Welt. Keine Verpflich­tung physi­scher Treffen, keine stun­den­langen Anreisen zu Sitzungen, Meetings über Zoom, Team-Viewer usw. Aber so ad hoc würde ich sagen, dass das Internet in einer idealen Welt so en passant vorhanden ist/zu sein hat, wie Elek­tri­zität. Es ist doch immer eine Frage der Verwen­dung: Ich liebe es, bei Kerzen­schein zu essen. Nur mit Kerzen­licht auskommen zu müssen, wäre mit der Zeit doch ein wenig öde. Immer und überall über Internet verbunden und erreichbar zu sein, wäre das gräss­liche Gegen­teil zum Kerzenlicht.

Somit halte ich es wie Harald Welzer: Es ist nicht die Technik, die dumm oder klug ist, sondern der gesell­schaft­liche Gebrauch, den man von ihr macht. Als eine kluge Vari­ante würde ich das Internet zum Beispiel dazu verwenden, welt­weit einen Vermö­gens­umbau durch- und Bildungs/Weiterbildungszwang einzuführen (😊).

 

11. Mai 2020

Erika Kronabitter leitet den Online-Work­shop „Der oder das Essay“ am 17. Mai 2020.

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Foto: Peter Bosch