Episch! 3

Ein Text von Martin Votzi

Das Lokal ist eine Fund­grube. Gleich beim Eintreten stößt er auf eine fest­liche Gesell­schaft, eine lange Tafel, die Männer in Anzug und Krawatte, die Frauen in fest­li­chen Klei­dern. Nur mehr zwei Tische für jeweils sechs Personen sind in diesem Raum frei. Er setzt sich an den zur Tafel nächst­lie­genden Tisch und erblickt ein viel­leicht zehn­jäh­riges Mädchen, das in einen Eisbär­far­bigen Pelz­mantel gehüllt ist. Ihr zu einem Zopf gebun­denes schwarzes Haar wird durch ein silber­far­benes Diadem geschmückt. Das Mädchen ist in die äußerste Ecke gedrückt und schmiegt sich viel­leicht unfrei­willig an einen Mann in einem hellen Anzug. Ihr Mund ist auffällig lang, die Lippen schmal, dazwi­schen blitzt eine Zahn­schiene auf, ganz so, als würde es auch auf den Zähnen ein Diadem tragen. Vor sich hält es ein Handy, auf dem ein Video läuft, viel­leicht von der Fest­lich­keit. Es sucht die Aufmerk­sam­keit des Mannes, ruft Schau und Da und ist das nicht süß. Der Mann nickt beiläufig, andere Männer prosten ihm zu. Er ergreift sein Glas und tut es ihnen gleich. Das Mädchen bemüht sich umso mehr, seine Beach­tung zu finden. Es rückt ihr Handy vor seine Brust und zeigt aufge­regt mit den Fingern der anderen Hand darauf. Der Mann nickt. Das Mädchen lächelt. Unsi­cher, wie dem Beob­achter erscheint. Er zückt ein zusam­men­ge­fal­tetes Stück Papier und beginnt zu schreiben. Also eine Hoch­zeit, denkt er, denn soeben hat die offen­sicht­liche Braut den Raum betreten und wird von vielen ehrerbie­tend ange­spro­chen, so auch vom Mann neben dem Mädchen. Dieses reckt den Arm in die Höhe und winkt der Braut zu. Ihr in die Breite gezo­genes Lächeln fällt ein wenig in sich zusammen, wird schmäler und zaghafter. Noch einmal hebt es die Hand, doch diesmal kommen die Finger nicht mehr über die Schulter hinaus. Ein Kellner betritt den Raum und fragt den Beob­achter, ob er alleine sei. Dann könne er nicht hier sitzen. Es entspinnt sich eine Diskus­sion. Der Beob­achter verweist darauf, dass es schon spät sei und keine Gäste mehr zu erwarten wären. Das erweckt die Aufmerk­sam­keit des Mädchens, das mit geöff­netem Mund auf die Szene starrt. Langsam gewinnt ihr Mund wieder an Breite. Die gewellten Lippen glätten sich. Sie zeigt ihre Zahn­spange und lächelt den Beob­achter an, als wolle sie sagen, wenigs­tens du schenkst mir Beach­tung. Der Kellner bleibt hart, der Beob­achter muss den Tisch räumen. Trotzdem setzt er ein freund­li­ches Gesicht auf und winkt dem Mädchen zum Abschied zu. Es zögert kurz und bewegt schließ­lich zwei Finger der freien Hand auf und ab. Beim Verlassen des Raums dreht sich der Beob­achter noch einmal um. Das Mädchen schaut sich nun alleine das Video an. Doch kurz hebt es wieder den Kopf, als hätte sie den Blick des Beob­ach­ters gespürt. Ihre Augen glänzen, sie glit­zern, als wären sie mit Wasser gefüllt.

 

Der Text von Martin Votzi ist im Work­shop „Epik“ von Erika Kronabitter entstanden.