Friseuse

Ein Text von Karin Leroch

Ich sitze auf meinem Plätz­chen und schreibe. Kein Auto, kein Radfahrer kommt vorbei. Nur eine Frau, sie sieht mich, bleibt stehen, fragt: „Wohnen Sie da?“
„Im Hotel Kastell“, antworte ich knapp. Sie hat mich als Touristin erkannt.
„Brau­chen Sie Frisur?“
Ich will eigent­lich schreiben und antworte nur höflich: „Nein, danke!“
Sie kommt noch näher, streckt die Hand aus, und bevor ich mich wegbiegen kann, hat sie meine Haare ange­fasst. „Schene Haare! Brau­chen Frisur!“ Sie wühlt auf meinem Kopf herum, ich halte irri­tiert still. Dann beginnt sie zu ziehen.
„Schene dicke Haare!“ Und obwohl sie fest zerrt, tut es nicht weh. „Kommen in mein Salon!“ befiehlt sie jetzt, und wie ein willen­loser Zombie folge ich ihr, eine Straße weit, in ein kleines wind­schiefes Haus. Sie öffnet eine Holztür und durch einen dunklen Vorraum geht es zu einer zweiten, schma­leren Tür. Eine steile Treppe führt in einen Keller hinab. Sie geht voraus, ich folge. Sie macht Licht, die Wände sind unver­putzt, es riecht nach Kartof­feln. Unten steht ein Stuhl und ein Friseur­wagen mit Bürsten, Flaschen, Cremen und Scheren. Ich möchte weg.
„Jetzt mache Frisur!“ erklärt sie und drückt mich in den Stuhl.
Sie zieht meine Haar­strähnen vom Kopf weg, und wieder fühlt es sich ange­nehm an, meine Haare werden länger und länger in ihren Händen, sie türmt sie oben auf meinem Haupt auf, Sie baut eine ganze Burg, scheinbar mit Burg­fried.
Gleich­zeitig greift sie in Töpfe und schmiert Creme in mein Haar, sie bedient sich verschie­dener Fläsch­chen, deren Inhalt sie auf ihren Händen verreibt und in das Gebäude auf meinem Kopf knetet. „Haar wie Kenigin!“, meint sie.
Dann geht sie ins nächste Stadium über, sie dröselt alles wieder auf, bringt die Burg zum Einsturz, wobei sich der Duft meiner Haare in die Atmo­sphäre verteilt, es ist Vanille mit Lavendel und Rosen mit Zimt, unglaub­lich zart und doch intensiv.
Sie kämmt meine Strähnen, dabei steht sie zwei Meter weit weg von mir, das heißt wohl, mein Haar ist jetzt ebenso lang.
„Fertig!“ verkündet sie. „Zeige Spiegel!“
Sie gibt mir einen großen Hand­spiegel. Mein Haar hat eine tiefe kobalt­blaue Farbe. Blumen, die ich nicht kenne, wachsen darin. Niemals war mein Haar so lang wie jetzt, ich weiß nicht, was sie damit gemacht hat. Ich kann kaum meinen Kopf hoch­halten, so schwer ist er. Ich möchte ihr Geld geben, blicke mich um. Sie ist weg. Einfach weg.
Ich will vom Stuhl aufstehen, kann aber nicht. Ein Blick nach unten bestä­tigt, was ich fühle. Ich habe die Schwanz­flosse einer Wasser­nixe und momentan ist es mir nicht möglich, irgend­wohin zu gehen.
Zarter Zitro­nen­duft meldet sich aus meinem Haar, der mir vorher entgangen ist.

 

Dieser Text von Karin Leroch ist im Sommer­work­shop „Schreiben an der Quelle“ mit Cornelia Stahl entstanden.