Schauerlich fantastische Texte
Texte von Julia Pomper und Christa Armann
Julia Pomper
In den Himmel loben
Mutter:
Ja, was hast du denn da?
Kind (zeigt es ihr):
Das haben wir heute im Kindergarten gebastelt.
Mutter:
Das sieht aber schön aus! Da hast du dir bestimmt viel Mühe gegeben. So kreativ und begabt.
(erschrickt) Na, was ist denn los?
Kind (versucht fest aufzutreten):
Etwas stimmt mit meinen Füßen nicht.
Mutter:
Deine Füße sind perfekt wie sie sind.
Kind:
Aber Mama, es fühlt sich komisch an.
Mutter:
Na sowas, sag, bist du denn schon wieder gewachsen? Bald hast du den Papa überholt! So ein gesunder Bub! Und schon wieder gewachsen!
Kind (rudert mit den Armen):
Mama, ich glaube, ich schwebe. (Strampelt mit den Füßen in der Luft.)
Mutter (beugt sich vor und sieht nach):
Tatsächlich! Ja, das hab ich ja noch nie gesehen. Toll, wie du das machst!
Kind (steigt noch höher):
Ich will wieder runter!
Mutter:
Du wirst schon wieder runterkommen. Dir fällt doch immer etwas ein, gescheit wie du bist!
Kind (drückt schon mit Kopf und Schultern an die Zimmerdecke):
Mir fällt nichts ein! Mama, hilf mir! Sag, dass ich runterkommen soll!
Mutter:
Aber du bist doch so selbstständig! Unser Bub, hab ich letztens zur Kindergärtnerin gesagt, ist so selbstständig. Er kann sich so brav mit seinen Spielsachen beschäftigen.
Kind schiebt sich während sie redet am Plafond Richtung offenes Fenster.
Mutter:
Und sie hat das bestätigt und hat gesagt, dass du auch sehr schön malen kannst. So einen begabten Sohn haben wir! Einen Künstler!
Kind (ächzt und erreicht das Fenster):
Mama, bitte! Ich will nicht davonfliegen!
Mutter:
Natürlich nicht! Du hast ja deine Mama und deinen Papa so lieb. Ausgesprochen feinfühlig, hat die Tante Gerti gesagt. So viel freundlicher und aufgeweckter als die Mimi.
Kind (an den Fensterrahmen gepresst, verzweifelt):
Mama!
Mutter:
Und schön obendrein!
Kind schiebt sich mit letzter Kraft ächzend aus dem Fenster und zischt wie ein Luftballon, aus dem man die Luft gelassen hat, hinaus, hinauf und davon.
Christa Armann
Flash-Fiction
Alles was sie nicht gerne macht, macht sie laut. Ihr Tag ist gefüllt mit viel Lärm. Die Körbe des Geschirrspülers zieht sie schnell und geräuschvoll bis zum Anschlag heraus. Zum Vorspülen lässt sie die Teller ungebremst im Abwaschbecken landen. Nimmt sie im Stapel heraus, wobei das Porzellan gefährlich aneinander scharrt. Schwungvoll platziert sie alles ungeordnet in den Körben. Das Besteck klirrt lautstark. Ein Blumenübertopf ist noch voll Erde. Angewidert versucht sie, mit bloßen Händen die Erde zu lockern. Etwas Festes, Rundes fühlt sie, sie wird langsamer in ihren Bewegungen, schüttelt die Erde ab – ein Schneckenhaus.
Verzückt setzt sie sich auf den Boden, streckt die Beine unter die aufgeklappte Türe des Geschirrspülers und säubert es zärtlich. Mit jeder ihrer Berührungen wird sie selbst kleiner, sanfter und glitschiger, bis sie sich endlich im Inneren des Hauses findet. Es ist Gold, Gold wie die meisten ihrer Schneckenhäuser. Sie riecht das Meer, schmeckt das Salz und rekelt sich im Wohlbefinden. Mit einem sanften Ruck der Knie schließt sie den Geschirrspüler, unhörbar.
Sie setzt sich an ihren Schreibtisch. Der Computer lässt sich nicht einschalten. Er kann sie nicht erreichen. Jetzt. In ihrem Kopf ist es still. Über den Bildschirm kriecht eine kleine rosa Nacktschnecke.
Surreal
Während ich noch durch den Regen ging, suchte ich im Lockenkopf den Haustorschlüssel. Völlig durchnässt riss ich mir die Löwen vom Leib. Nach dem Duschen nahm ich die Sorgen aus dem Kühlschrank und ordnete die Herzen ein. Das wird ein schöner Friedhof.
Die Texte sind im Schreibworkshop “schauerlich & fantastisch” mit Britta Mühlbauer entstanden.