Schreibende Körper
Texte von Regina Nening-Dougan und Anita Steidl
Regina Nening-Dougan
Leib – Seele Cluster
„Der Leib“, das ist schon ein komischer Begriff – wie wenn sich da wer nicht „Körper“ sagen traut; Irgendwie wie das Vulgäre, Verschwitzte oder halt Menschelnde zu vermeiden versucht.
„Leib erinnert mich einerseits an den Umgang der katholischen Kirche mit Frauen, mit dem Frausein: Scham, Keuschheit, Maria als williges Gefäß, jeder Eigen-Sinn durch salbungsvolle Worte einfach vom Tisch gewischt.
Mit „Leib“ assoziiere ich als „recovering catholic“ eher den Torso, ohne Arme und Beine, mit denen frau aktiv, schöpferisch oder kämpferisch werden könnte.
Andererseits verbinde ich mit dem Begriff auch mit „Leibtherapie“ – mit therapeutischem Slang, und ehrlich gesagt finde ich ihn da nicht weniger salbungsvoll und unehrlich, irgendwie schonend, beschwichtigend: ja, ja, wir sind alle schöne und unschuldig, keiner kann was dafür!
Was mir fehlt, ist, dass es um mich geht – ich bin mein Körper – form follows function, function determines form, for better or for worse. Daran ist nicht zu rütteln. Mag ich, was ich geformt habe? Mag ich was mich geformt hat?
Gebrauche ich meinen Körper so wie ich das möchte? Zum Genießen? Zum Kreieren? Zum Schützen von Wertvollem? Zum Erleben von Freundschaft und Gemeinschaft? Nur darum geht es mir heute, mit zunehmender Bewusstheit meiner Vergänglichkeit.
Zeichnung des Gesichtes – Die Steinfrau
Ich bin die Steinfrau. Ich lebe in den Bergen. Morgen werde ich 20 Millionen 700000 und 41 Jahre alt. Happy Birthday to me!
Das Leben hat mich gelehrt, offen zu sein, damit Musik entstehen kann. Durch meine Augenhöhlen polterte der kalte Nordwind sein eiliges Lied. In der Öffnung meiner Nase findet ein Grillenpaar Schutz vor dem rauen Klima und zirpt mir im Sommer als Dank ihr Duett.
Am interessantesten ist die Öffnung meines Mundes – längst geht es nicht mehr um Nahrungsaufnahme oder Selbstausdruck. Seit ein paar Millionen Jahren hat sich ein Fluss durch mich durch beheimatet, für winzige Wassertropfen bin ich zum Übergang zwischen Aggregatzuständen geworden – vom Himmel gefallen, durch mich durchgerauscht, der Verdunstung preisgegeben bis die Reise wieder als Regentropfen von vorne beginnt.
Perpetuum mobile, perpetuum sonans.
Die Spaltung überwinden (Nach dem Gedicht „von Elfriede Gerstl)
Meine Figur durch die Augen der Männerwelt
Meine Frisur durch die Augen von Cosmopolitan und Brigitte
Mein Gesicht durch die Augen von Instagramm
Mein Gewicht durch die Augen der Diätologin
Ich im Spiegel: „Hallo Süße, ich kenn dich zwar nicht, aber ich putz dir trotzdem die Zähne!“
Elferl (nach Schreiben mit links)
Heast,
Oide, du!
Du Oide, heast?
I bin a Linke,
Oide!
Zur Körperzeichnung
Mir fällt nichts ein.
Vielleicht sollte ich schreiben, was mir nicht einfällt. Also: was fällt mir nicht ein?
Es fiele mir nicht ein, mich als graziös zu bezeichnen. Eher schwerfällig.
Das hab ich von meiner Oma. Ich wäre ihr „wie aus dem Gesicht geschnitten“ behaupteten fast geschockt ältere Verwandte, als wir uns anlässlich einer Familienfeier nach langer Zeit wiedersahen.
Wir vier waren ihre Herzi-Binki, unsere Kindheit zu behüten war das Wichtigste für sie.
Saure Orangenspalten für uns in Zucker zu tunken, Quittengelee im Winter gegen den allgegenwärtigen Husten im industrieverseuchten Linz der 60ger und 70ger Jahre, aus dicker Schafwolle Pullover, Socken und Apollohauben, um ihre kostbaren Schätze zu schützen.
Grimms Märchen beim Mittagschläfchen in der Gästeritze zwischen ihr und dem schnarchenden Opa.
Sie selbst, ein ungewolltes Kind, die jung schon viel zu leiden hatte, durch das doppelte Stigma der unehelichen Geburt und der Rothaarigkeit. Und, als ob das nicht schon genug wäre, war da auch noch ein jüdischer Vater, der zwar früh die Familie zurückließ, ohne sich um sie zu kümmern, der aber in den 30ger Jahren doch wieder wie eine schwere, lebensbedrohliche Gaswolke seine Kinder zu ersticken drohte.
Wie sehr muss sie sich nach der Wärme und Geborgenheit gesehnt haben, die sie uns so großzügig zu Teil werden ließ, und von der wir uns mit zunehmender Abnabelung von daheim immer öfter bedrängt, ja oft auch manipuliert fühlten.
Die Tigerin (Werbebild)
Die Tigerin steigt aus dem Tank,
schleudert verächtliche Blicke über die Schulter.
„Ab jetzt zieh ich die Hosen an,
und du kannst dich brausen gehen,
mit deiner Pupperlhutschen!“
(„Anagramme“ aus dem Wort) Menstruationsbeschwerden
Ein Monstrum reist; es brist schwebend erdwärts, reibt Wurst in Truhen, und muss, sich brüstend, die Herden hüten.
Anita Steidl
Ode an den Körper (in Anlehnung an Udo Lindenbergs Song: Mein Body du und ich)
Danke für die Kinder,
obwohl der Boden nicht für sie bereit war
Danke für jeden Tag von Neuem aufstehen können,
auch wenn die Gelenke schmerzen
Danke für die Begeisterung für meine Arbeit und alles was ich tu;
Danke – das ermöglichst DU!
Danke für die späte Ehe
Obwohl nichts mehr dafür sprach;
Danke, dass ich allerhand überstanden,
dabei aber nicht den Humor verloren hab.
Danke für die stabile Gesundheit,
obwohl ich so wenig dafür tu;
Danke – das ermöglichst DU!
Danke fürs Lesen und Schreiben können
Danke für die Genussfähigkeit
Danke fürs (fast) alles aushalten können
Danke fürs immer weiter leben
Und alles immer ohne Ruh‘
Danke – das ermöglichst DU!
Elfchen (mit links)
Verkehrt
unpassendes Tun
in unbekannter Sprache
wie sich zurechtfinden mit
links
Yogapose „der Baum“
Hier stehe ich kraftvoll, konzentriert, verwurzelt, unerschütterlich. Kein Gedanke stört meine Ruhe. Der Himmel ist wolkenlos. Die Wellen kommen und gehen. (langsam einatmen – ausatmen)
Kein Gedanke? Geht das überhaupt? Hab ich mich nicht gerade dabei ertappt, an die kommende Woche zu denken. Und schreien da nicht Kinder am Strand? Apropos Kinder: Hätte ich ihnen nicht Geschenke mitbringen sollen? Aber der Koffer ist ohnehin schon schwer genug und außerdem quellen die Kinderzimmer über vor lauter Zeugs.
Zurück zum Baum, die Gedanken dürfen weiterziehen. Einatmen – ausatmen.
Ruhig und stark bin ich und wachse in den Himmel hinauf.
Also bitte was soll das denn?
Wozu in den Himmel? Kümmere Dich doch darum zuerst hier auf Erden alles zu schaffen!
Das Thema „Leib“ kommt mir wieder in den Sinn, Leib und Seele eigentlich. Behandle ich alle Teile pfleglich, was kommt zu kurz?.….….…..
Ähhhm, so wird das nichts mit der yogischen Versenkung. Was stürmt denn noch alles herein? Warum lass ich mich so leicht ablenken? Hoffentlich erwische ich rechtzeitig den Zug? Welchen Text sollen wir für Modul 5 auswählen? Was werde ich heute noch mit den Kindern unternehmen? Freuen sie sich so sehr auf mich, wie ich mich auf sie? Was ist zu Hause los? Hoffentlich vergisst der Mann nicht auf die Balkonblumen……….. (immer schneller)
STOPP
Ich zähle, zu wie vielen Gedanken ich gleichzeitig fähig bin. Manchmal stelle ich sie mir vor wie ein Hochhaus. Sieben Stockwerke gleichzeitiger Gedanken schaffe ich….
dann fehlt halt der Tiefgang.
Sieben Stockwerke gefüllt mit Tand bis an den Rand.
Hmmmmmmmmmm…………..
Einatmen
Ausatmen
Ich stehe hier, kraftvoll, verwurzelt, unerschütterlich. Ich bin der Baum!
Gedicht mit A (in Anlehnung an Ernst Jandls Lipogramm „Otto Mops“)
Am Anfang alles anstrengend
aber allmählich aufregend
auch Aufhören angenehm
Die Texte sind im Rahmen des Schreibworkshops “Mein Körper schreibt” mit Kathrine Bader entstanden.