Schritte nachverfolgen
Ein Beitrag von Laura Nußbaumer
„An diesen Orten waren Sie im vergangenen Monat zum ersten Mal.“
Mein Handy hat sich entschieden mir auf diese Weise mitzuteilen, dass es mich schon seit geraumer Zeit verfolgt.
„Was?“, habe ich dümmlich gesagt und auf eine Liste mit all den neuen Restaurants und Örtlichkeiten gestarrt, die ich für Freizeit, Arbeit, Studium zum ersten Mal besucht habe. Zu vielen von ihnen werde ich vermutlich nie wieder gehen.
„Möchten Sie eine Bewertung abgeben?“, fragt mein Handy und ich tippe wild um zu löschen, was auch immer gerade passiert ist. Ich will nicht gestalkt werden, nein danke, bitte keine Schritte zählen, bitte keine Standorte, nur Google Maps soll immer wissen, wo ich bin, damit ich von A nach B komme, und das Wifi finde.
„Seit kurzem werden Ihre Kreise immer kleiner“, klagt mein Handy und es ist wahr. Ausweiten soll man sich, das eigene Umfeld, die Umgebung kennen lernen, erkunden, erforschen, den Horizont erweitern.
Seit einigen Tagen erforsche ich nur noch die eigene Wohnung.
„Heute sind Sie 267 Mal im Kreis gegangen.“
Wegen COVID-19 ist mein soziales Umfeld auf mich, meine Mitbewohnerinnen, meine vier Wände beschränkt, der Rest der Welt soll auf Abstand gehen.
„An diesen Orten in Ihrer Wohnung sind Sie in der vergangenen Woche zum ersten Mal stehen geblieben um in die Leere zu starren.“
Vom Fenster aus sieht man nur den Hof, die gegenüberliegende Wand. Ich gehe Kreise, so sammelt sich zumindest weniger Staub an.
26. März 2020
Laura Nußbaumer ist Teilnehmerin des Lehrgangs „Schreibpädagogik“ 2019/2020.
Bild-Copyright: Laura Nußbaumer