Unterwegs in der Großstadt
Texte von Cornelia Loher-Kroiß
Es rauscht und lärmt. Pause. Wochenendhektik, Wochenendbier. Autos queren die Straße, rollende Reifengeräusche. Hoch oben krächzen die Raben, lassen sich treiben. Der Boden vibriert, die U‑Bahn fährt ein. Der Lift bewegt sich nach unten. Einkäufe werden erledigt. Die Trolleys rattern vorbei, mal gemächlich schleppend, mal hektisch eilig. Manchmal kann der Hunger scheinbar nicht warten, er wird gleich befriedigt. Dönerduft zieht vorbei. Ich lasse mich mitreißen, lasse mich aufsaugen vom Menschenstrom. Kopf an Kopf, perspektivisch verzerrt durch die ansteigende Straße. Kindergelächter. Ein Bankplatz in der Mitte des Geschehens. Bergabrollende Scooter gleiten vorbei. Der Wind fährt durchs Haar, spielt mit dem Laub, verbläst Plastik und verlorene Einkaufszettel. Er lässt die Kleider zum Abschied winken.
Auf der anderen Seite hektisches aufräumen. Kistengestapel, organisatorisches Zurufen. Vorfreudefeierabendstimmung. Noch aufgespannte Sonnenschirme unter Stadtgrün. Last-Minute-Einkäufer ziehen eilig vorbei. Ein letzter Plausch mit dem Stammkunden. Bei manchen endet der Feierabend nie – immerwährender Feierabend.
Zigarettenrauch zieht vorbei. Mühsam geht die Zigarette zum Mund. Sie findet ihren Weg schon, das Bier findet ihn auch. Auch wenn es so aussieht, als würde es gleich aus den Augen herauskommen. Noch ein Zug, gefolgt von einer Rauchwolke. Allein raucht es sich nicht gut. Allein trinkt es sich nicht gut. BIER – Bitte kalt trinken, Ist immer, Ein Genuss, Randvoll aufgefüllt. Das Gegenüber tut es ihm gleich. Schnauzbärtiger Pferdeschwanzträger. Das Grau des Haares zum Rot des Gesichts. Mager, ausgezehrt, geräuchert. Er selbst noch mit vollem, dunklem Haferlschnitt. Der Schnitt ist nicht mehr frisch. Noch ein Zug, dazwischen Fachgespräche. Vielleicht eine Analyse des Weltgeschehens, des kleinen und des großen. Ein letzter Zug, professionelle Entsorgung der Kippe. Eilig ins Warme zum hoffentlich noch kalten Bier.
Medusa
Wie betäubt sitzt sie in der Straßenbahn, sie ist gerade eingestiegen. Viel sieht sie nicht, ihre Augen sind noch zu verweint um klar zu sehen. Die Tränen laufen wieder über ihre Wangen. Wenn sie hinausblickt, sieht sie nur die Häuserzeilen, alles verschwommen. Ab und zu erblickt sie andere Gesichter, sie blicken zurück. Hölzern bewachen sie Eingänge, sie scheinen sie anzuschreien, zurück zu schreien, sie will mit schreien. Sie rumpelt weiter. Eine Medusa bedroht sie. Die würde sie ihm gerne vorbeischicken, hübsch aber tödlich. Er würde ebenso erstarren, wie ihr eigenes Herz. Die Trauer wandelt sich in Wut. Das ging aber schnell. Dann ein steinerner Männerkopf über den Hauseingang, bestimmend ermahnt er sie, sich zusammen zu reißen. Es geht nicht, zu frisch das Geschehene. Sie weint wieder. Wann muss sie aussteigen, sie hat nicht aufgepasst. Heute war es eh schon egal. Fahr, fahr weg. Ihre Gedanken sitzen in der Straßenbahn, ihr Atem rattert und ihr Gehirn bimmelt. Endstation. War es das wirklich gewesen? Gab es kein weiter mehr? Sie bleibt sitzen und wartete. Auf was? Sie lässt es geschehen. Die Straßenbahn fährt wieder los.
Die Texte sind in Brigitta Höplers Schreibworkshop „Urbane Textfelder“ entstanden.