Autorensolidarität: Für einen experimentellen Zugang zur Sprache. Mit Petra Ganglbauer sprach Dieter Scherr.
Erschienen in der Autorensolidarität 1–2 2009
Wie kamst du zum Berufsverband Österreichischer Schreibpädagog/inn/en?
Ganglbauer: Zu der Zeit, als ich die Österreich-Redaktion der in Deutschland erscheinenden Zeitschrift „Das Gedicht“ betreute, lud mich zunächst Gerwalt Brandl ein, zwei Semester Lyrik im Rahmen der „Schreibwerkstatt Stöbergasse“ zu unterrichten. Das war in den Neunzigern. Gerwalt Brandl hat mich dann einige Zeit später auch eingeladen, beim Lehrgang „Wiener Schreibpädagogik“ „Avantgarden“ zu unterrichten. Er leitete den Lehrgang damals gemeinsam mit Christa Brauner, die mich, als Gerwalt Brandl schließlich seine Tätigkeit für den Lehrgang zurücklegte, stärker in die Arbeit einband. Der Berufsverband österreichischer Schreibpädagog/inn/en, BOeS, wurde im Jahre 2004 gegründet, ich bin übrigens kein Gründungsmitglied. Im November 2008 habe ich die ehrenamtliche Gesamtleitung übernommen. Den Lehrgang selbst leite ich , auch ehrenamtlich, gemeinsam mit Christa Brauner. Darüber hinaus biete ich aber auch immer wieder Impulswerkstätten an, in Österreich, aber auch im Ausland, an der Uni, an Schulen oder auch in Bildungshäusern. Ich versuche zur Zeit, den kontinuierlichen Diskurs zu Thema „Schreiben lehren“ insgesamt ein wenig anzuregen. Es wird ja über dieses Thema immer nur hypeartig gesprochen und geschrieben – und es gibt doch nicht wenige Kolleginnen und Kollegen, die seit Jahren oder Jahrzehnten Schreiben lehren.
Wie darf man sich den Ablauf einer Unterrichtseinheit vorstellen?
Ganglbauer: Der Ablauf einer Unterrichtseinheit wird von jedem Lehrenden anders gehandhabt. Ich kann in diesem Fall nur meine Arbeit schildern: Je nach Kurs- oder Workshop-Inhalt lege ich den Schwerpunkt auf andere Aspekte des Schreibens. Ich bringe in der „Poetik“ beispielsweise zahlreiche Beispiele zeitgenössischer Literatur unter, um Einblick in unterschiedliche formale Ausrichtungen zu geben. Die Teilnehmenden setzen sich zunächst theoretisch mit dem Material auseinander, um davon ausgehend dann Textarbeit zu leisten. Mir ist ganz wichtig, jene Tendenzen von Wirklichkeits- und Sprachwahrnehmung besonders hervorzukehren, die den konventionellen Umgang mit Sprache in Frage stellen und ich bemühe mich, diese auch literaturhistorisch für die Studierenden rückzubinden. Wenn man davon ausgeht, dass in diesem Land die Rezeption von Texten der Klassischen Moderne beispielsweise bis heute nicht wirklich im Leseverhalten verankert ist, bedeutet diese Vermittlungsarbeit in manchen Fällen „Aufklärungsarbeit.“ Zudem versuche ich bewußt zu machen, dass Sprache ein Organismus ist und eine Eigendynamik entwickelt, sobald man mit dem Schreiben beginnt. Die Worte stehen untereinander in Beziehung, es gibt einen Magnetismus. Spracherfahrung hat wiederum eine Rückwirkung auf Welterfahrung insgesamt. In „Sprache als Kunst“, um noch ein Beispiel zu nennen, lade ich „special guests“ aus anderen Kunstgattungsbereichen (Medienkunst, Fotokunst, Kompostion etc.) ein. In diesem Kurs wird vermittelt, wie sich Sprache verwandelt, sobald sie in Kommunikation mit anderen Medien tritt.
Um es zusammenzufassen: Zunächst erfolgt immer ein Impuls – der kann auch aus Objekten bestehen, Fundstücken etwa – danach wird geschrieben. Dann gibt es Textkritik. Und die Auseinandersetzung mit dem gesellschaftspolitischem Aspekt von Sprache ist mir sehr wichtig! Aber, wie gesagt, die Workshops und Kurse laufen, je nach Unterrichtendem, unterschiedlich ab.
Wählen die Studentinnen und Studenten selbst den Gegenstand ihres Schreibens oder gibt es Aufgabenstellungen?
Ganglbauer: Es gibt stets konkrete Aufgabenstellungen in meinen Workshops, wobei ich die Themen nicht für die Teilnehmer auswähle. Ich denke, jede/r muss schon auch einen inhaltlichen Impuls in sich fühlen, etwas, das sich anbietet oder gar zwingend ist, sonst kann sie/er nicht schreiben; ich gebe meist lediglich formale Aufgabenstellungen. Es gibt ja diese Interdependenz von Inhalt und Form. Ich kann am einen oder anderen Pol zu schreiben beginnen. Wenn ich mich dem Medium Sprache überlasse, gewinne ich ein immer stärkeres Vertrauen in den Sprachfluss.
Kommt auch ein gewisser spielerischer Umgang mit Sprache zum Tragen?
Ganglbauer: Die Methoden der Wiener Schreibpädagogik fußen aus meiner Sicht vor allem auf zwei Bereichen: Dem sprachspielerischen, sprachreflexiven Zugang, der durch die Eigendynamik der Sprache gewährleistet wird, und auf der anderen Seite auf der Tatsache, dass Wahrnehmung beim Sprachgebrauch die entscheidende Rolle spielt. Um die Verschärfung der Wahrnehmung geht es mithin. Hinzu kommt, dass Sprachgebrauch etwas Politisches ist…und ich eine Herausforderung in dem Spannungsverhältnis von Poesie und Politik sehe. Schreibpädagogik zeigt zudem methodisch-didaktische Verfahren auf, weil viele unsere Absolventinnen und Absolventen in Folge selbst Schreiben lehren.
Ich denke, dass das Spielerische beim Schreiben generell wichtig ist, eine Leichtigkeit, die irgendwann, wenn es gut geht, aus dem Können heraus entsteht.
Gab es unter den Studenten und Studentinnen bezüglich experimenteller Texte oder Visueller Poesie mitunter auch ablehnende Haltungen?
Ganglbauer: Ganz selten gibt es misstrauische Rückmeldungen. Die meisten Teilnehmenden erfreuen sich am Sprachspiel und am Wagnis, mit und durch Sprache neue Erfahrungen zu machen. Der Workshop „Visuelle Poesie“, den Günter Vallaster anbietet, erfährt ein sehr positives Echo!
Aus welchen Berufen kommt die Mehrzahl der Studierenden?
Ganglbauer: Unter unseren Absolvent/inn/en finden sich Student/inn/en, Autor/inn/en, Lehrer/innen, Sozialarbeiter/innen, Psychotherapeut/innn/en, Wissenschaftler/innen oder auch Bibliothekar/inn/e/n. Eine Mehrzahl in beruflicher Hinsicht gibt es nicht wirklich. Auch die Lehrenden haben unterschiedliche Berufe. Im Rahmen des Lehrgangs unterrichten Autor/inn/en, Wissenschaftler/innen, Künstler/innen usw. Die dadurch gewährleistete Zusammenschau finde ich persönlich besonders spannend. Sie zeigt so viele Zugänge zur Sprache auf.
Stichwort Psychotherapeut/innen/en – könnte man die Schreibpädagogik im weitesten Sinn auch als eine Art Therapeutikum werten?
Ganglbauer: Höchstens in dem Sinn, dass auch Schreiben therapeutisch sein kann. Wir bieten jedoch nicht explizit Poesietherapie an! Unser Angebot ist kein therapeutisches.
Belegen mehr Frauen oder mehr Männer die Kurse?
Ganglbauer: Zurzeit belegen mehr Frauen die Kurse und Workshops. Das war nicht immer so. Wir sind dabei, wieder mehr lehrende Männer mit einzubeziehen, auch, um wieder mehr Studenten zu gewinnen.
Besteht bei den meisten Studentinnen und Studenten der Wunsch, das Verfasste / Erlernte irgendwann auch zu publizieren?
Ganglbauer: Einige unserer Studierenden haben bereits Bücher veröffentlicht. Freilich wünschen sich die meisten, eines Tages publizieren zu können. Dabei muss oder besser sollte es sich aber nicht selbstverständlich um das im Lehrgang Erlernte handeln. Wir versuchen eine möglichst umfassende Zusammenschau gattungsspezifischer und formaler Aspekte des Schreibens zu gewährleisten und dadurch Prozesse (!) in Gang zu bringen. Das heißt, die Entwicklung setzt sich (im idealen Fall) nach Absolvenz des Lehrgangs fort.
Rechtschreibreform – “alte” Rechtschreibung – Individualschreibung, gibt es von seiten des Berufsverbandes Österreichischer Schreibpädagog/inn/en diesbezügliche Empfehlungen oder Vorgaben?
Ganglbauer: Ich bin grundsätzlich für eine individuelle Handhabung; ich selbst verwende entweder die alte Rechtschreibung oder eine Mischform. Von Seiten des Berufsverbandes gibt es keine Vorgaben.
Wo können sich Interessierte einen ersten Überblick über euer Kursangebot verschaffen?
Ganglbauer: Alle Ausbildungsdetails finden sich auf unserer Homepage: www.schreibpaedagogik.com. Wir haben ein Jahresprogramm für 2009 zusammengestellt. Der nächste Lehrgang Wiener Schreibpädagogik startet im Mai 2009; der Informationsabend ist am 1. April um 18 Uhr. Die Kurse und Workshops finden zumeist in einem Schauspielatelier im 14. Bezirk statt, in Ausnahmefällen beziehungsweise während der Sommerschiene an einem anderen Ort. Die Gruppengröße liegt durchschnittlich bei acht bis zehn Teilnehmenden. Es kommen ja auch immer wieder Teilnehmer/innen aus den Bundsländern.
Einige Ausführungen zum Spannungsfeld Autorin – Lehrende, bitte.
Ganglbauer: Freilich ist dieses Pendeln zwischen meinen literarischen Projekten und der Lehrtätigkeit bisweilen Kräfte raubend. Vor allem auch, weil die Energie, die ich beim Schreiben oder beim Projekte Konzipieren einsetze, eine völlig andere ist als jene, die ich beim Lehren anwende. Das heißt, es gibt immer wieder Phasen, in denen ich mich auch zurückziehe, verlangsamen muß, um mir Raum zu schaffen. Ich denke aber auch, dass ich durch die Workshoparbeit gefordert bin, mich theoretisch weiterzubilden, dass ich mich aber auch durch die Diskussion mit den Lernenden oft mit Fragen konfrontiert sehe, die ich mir so nicht ausdenken würde. Überdies bin ich gefordert, an meiner eigenen literarisch- künstlerischen Entwicklung kontinuierlich zu arbeiten, weil ich immer (!) als Autorin unterrichte. Wenn ich den Plafond zu erreichen drohe, muss ich faktisch bei Null ansetzen – um letztlich wieder produktiv sein und neue Erkenntnisse in die Lehrtätigkeit einbauen zu können. Insofern liegen Lehren und Lernen schon lange für mich unabdingbar beieinander.
Es scheint mir nachträglich auch wichtig und zielführend, dass ich in den Achtzigern einen Verlag mit aufgebaut habe (den „gangan Verlag“, gemeinsam mit Horst Gerald Ganglbauer) und dass ich zu jener Zeit auch Erfahrung als freiberufliche Journalistin für diverse Medien sammeln konnte. Das alles führt zu einer (Gesamt)schau, die – aus meiner Sicht – für das Unterrichten brauchbar ist.
… usw.
Das vollständige Interview findet sich in der Autorensolidarität, 1–2/09