Sprache als Kunst (Exzerpt aus der Unter­lage einer Gast­do­zentur bei BÖS)

Ein Text von Gertrude Moser-Wagner

Sprache ist Mate­rial vom Feinsten, auch für eine Bild­hauerin. Wörter, Sätze, urbane Sprach­funde, Indi­ka­toren und Objekte aller Art sind nach­hal­tige Begleiter. Sie sind, quasi im Werk­zeug­koffer mitge­führte Prot­ago­nisten – auch über die Werk­statt hinaus. Wie ich einige davon entwi­ckelte, auch im Frei­luft­ate­lier metho­disch einsetzte, möchte ich Ihnen hier gern ausschnitt­haft erzählen.

Viel­leicht können wir Voraus­set­zungen vereinbaren:

Kunst und Lite­ratur wollen den Blick auf die Wirk­lich­keit ergründen und verschieben. Das ist in unserer abge­klärten Gesell­schaft, die ihre eigenen Tabus verwertet und – nebenbei gesagt – neue erzeugt, gar nicht so leicht. Von Lite­ratur und Kunst erwartet man meist das Unge­wöhn­liche, oft auch das Unter­halt­same. Sich zu stei­gern, zu versteigen, es ist zu verlo­ckend. Geht es nicht eher um Vertie­fung, Verdich­tung, um eine Re-Poeti­sie­rung? Viel­leicht gelingt ein holis­ti­scher Ansatz, der aus einer reflek­tierten Haltung heraus Räume abtastet, ohne sich beleh­rend aufzuspielen.

Kunst­ver­halten ist immer durch Wahr­neh­mung geleitet und kommt einem Ordnungs­vor­haben gleich, im Sinne der Neugrup­pie­rung der Elemente, ob in Sprache, Farbe, Klang, Hand­lung oder wie auch immer. Das „Wie“ der Dinge grup­piert sich dabei um, erwei­tert sich, etwa zur Collage, zum expe­ri­men­tellen Text, zum nicht­li­nearen Roman oder zu einer Kunst im öffent­li­chen Raum.
Evoka­ti­ons­kunst sagte ich, im Zusam­men­hang mit der Nahe­be­trach­tung eines Stra­ßen­stücks in der oberen Prater­straße. Das war im Rahmen der TASTE-Projekte (2003–05). TASTE ist im Wort Prater­straße enthalten, damals hatte ich dort Haus PR10 zur Verfü­gung und konnte Leute einladen, mit mir zu arbeiten. Das war so, wie wenn man eine Akupunk­tur­nadel setzt, die für einen Orga­nismus Erwe­ckungs­folgen haben kann und so entwi­ckelte sich eins aus dem andern. www.taste.at

Eines nach dem anderen: Worte sind Gewor­dene, haben vorerst mit Zeit und Raum zu tun. Nur in der Mathe­matik werden Sätze formu­liert, die es in Wirk­lich­keit nicht gibt, weil darin kein Wider­spruch vorge­sehen ist (Axiome). Alles andere steht nicht fest, ist im Werden – ist dialek­tisch, den Prozessen über­ant­wortet, die Wech­sel­wir­kungen erzeugen, ist Ideo­lo­gien und Glau­bens­sätzen ausge­lie­fert. Das ange­strebte Gleich­ge­wicht bleibt, so wie das sprich­wört­liche Para­dies, die Wunschvorstellung.

Viel­leicht beginne ich, um meine Arbeit zu erläu­tern, mit dem Begriff Gleich­ge­wicht: Ich stelle Ihnen meine “Sprache als eine Kunst“ vor, durch Korrek­tur­zei­chen DELEATUR und VACAT. Etwas ist, und es möge entweder gestri­chen werden, denn es ist schon zu viel davon (deleatur) oder aber, etwas fehlt (vacat). Aus diesem realen, immer­wäh­renden Ungleich­ge­wicht kommen die Erzäh­lungen, die Hand­lungen: PLOT. So stand anfangs diese Formel fest: PLOTVACATDELEATUR (die Hand­lung kommt daher, dass Etwas fehlt und vom Anderen zu viel da ist). Teile meiner Werke, Texte und einiger Projekte bis heute habe ich diesen Begriffen zuge­ordnet. („Projekt­kunst“: www.moser-wagner.com)

Zu Beginn der 1990er Jahre hatte ich mich bild­haue­risch mit Minus­for­maten beschäf­tigt, von denen die Einsicht stammt, dass Nega­tion genauso bedeu­tend sei wie Affir­ma­tion – mindes­tens für mich war damals das Nicht­sicht­bare inter­es­santer. Das Gegen­pendel zu Etwas (Vorhan­denem), aus einem Alles heraus­ge­fil­tert, auf das schließ­lich künst­le­risch verwiesen werden sollte: Das da! Auch das NICHTS wurde zweimal konzep­tuell behauptet: NICHTS ist in Stein gemei­ßelt (2014) und das Video bridge NOTHING. (2020, gemeinsam mit Ulrich Kaufmann).

 

SPRACHE ALS KUNST geht weiter inner­halb eines Moduls von Gertrude Moser-Wagner, beim Festival FLUVIALE – along the line, voraus­sicht­lich Mikulov/Wien, 2026.