Aus Stille geformt – Ingrid Kloser
Eine Rezension von Tobias Thomas March
Um Stille, Achtsamkeit und Töpfern geht es in Ingrid Klosers neuem Roman, so lässt sich zumindest der Eindruck des Klappentextes und der des Buchumschlages zusammenfassen. Doch im Inneren des Buches der aus Hard in Vorarlberg stammenden Ingrid Kloser geht es um weit mehr. Nämlich um die Frage nach der Identität und nach den Wurzeln eines Menschen.
Akiko ist aus Japan und hat in Landshut eine Keramikschule besucht. Vom Fachlehrer bekommt die junge Studentin die Empfehlung, den Töpfermeister Friedrich im Bregenzerwald aufzusuchen, um bei ihm ein Praktikum zu absolvieren. Er brenne die Töpferwaren selbst, in seinem eigenen Ofen. Sie kommt in den Bregenzerwald und entdeckt, dass Friedrich den Ton auch selbst aus dem Flussbett heraussticht.
Abwechselnd lässt uns Kloser an Akikos und Friedrichs Gedankenwelt teilhaben. Sie hat das Buch in vier Über-Kapitel eingeteilt, die sie passend zu den vier Jahreszeiten benannt hat. Was zuerst als Meister-Schülerin-Lehrverhältnis verfolgt werden kann, wird intim, als sich Friedrich immer mehr die Konturen von Akikos Gesicht ansieht und ihre Gesellschaft zunehmend schätzt. „Es erscheint ihr nicht angebracht, ihren Lehrer im Pyjama zu sehen. Aber Friedrich gibt ihr mit der Hand ein einladendes Zeichen und sie setzt sich zu ihm. Für einige Augenblicke sagt keiner von ihnen ein Wort. Akiko blickt auf das Glas. ‹Die Frage nach meiner Mutter.› Sie blickt in sein Gesicht, ohne die Augen zu treffen.“ (S. 58) Die Leser:innen erspinnen sich schon eine Liebesgeschichte, als dann im Herbst die Wahrheit immer mehr zutage kommt. Akiko fragt nach, warum Friedrich hinter seinem Haus heimlich einen östlichen Garten mit Statue angelegt hat. Warum besitzt Friedrich ein japanisches Windspiel, ein Furin? Als er dann zugibt, in Japan auf einer Studienreise gewesen zu sein, fragt sich Akiko, wann das denn gewesen ist und warum er nicht mehr von der Reise erzählt. Zu der Zeit von Friedrichs Reise hat nämlich auch Akikos Onkel, ein japanischer Töpfermeister, von Akikos Mutter unterstützt, ausländische Studierende empfangen. „‹Kannst du dich nicht an einen Töpfer in Kyoto erinnern, der seine Teeschalen in Raku-Technik fertigte und in einem alten traditionellen Haus lebte?› … [Friedrich] schafft es nicht, sie anzusehen, und blickt stattdessen zum Fenster hinaus.“ (S. 162) Nach und nach kommt die ganze Wahrheit zutage.
Kloser ist mit dem Buch ein guter Roman gelungen, sehr nah an der (Bregenzer-)Wälder-Lebensrealität, vor allem wenn es um den Tratsch im Gasthaus, den „extrovertierten“ Künstler/Töpfer geht, um die Gemeinde, die den Bau des Ofens nicht erlauben wollte, um die Nachbarn, die alles wissen, aber auch um die Freundschaft zwischen den Nachbarn, die Bereitschaft, mit Brennholz auszuhelfen, um das Glücklichsein im Kleinen und um Zufriedenheit zu finden im Einfachen und in der naturnahen Umgebung. „Am 20. Dezember ist Vincent mit dem Traktor vorgefahren und hat eine Weißtanne gebracht. ‹Das ist ein Geschenk des Hauses, ich dachte, ihr wollt zusammen feiern.›“ (S. 210)
Wer ein ruhiges, liebevolles, wenig überraschendes Buch voll schöner Sätze sucht, der ist hier genau richtig. Wer Erzähltempo, viel Handlung und eine unerwartete Wendung sucht, wird enttäuscht werden.
Tobias Thomas March, Oktober 2025
Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich.
Ingrid Kloser: Aus Stille geformt
München: Piper 2025
224 Seiten
18 EUR
ISBN 978–3‑492–07263‑2
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