Es ist ein Nah und Fern – Petra Ganglbauer
Eine Rezension von Cornelia Stahl
Vergangenheit und Gegenwart als Referenzpunkte des Erinnerns
Nahe Ferne. Ferne Nähe. Nähe und Ferne spiegeln die Mutter-Tochter-Beziehung im Erzählband „Meine Mutter lacht“, der belgischen Autorin und Filmemacherin Chantal Akerman. Um Beziehungsgeflechte geht es auch in der Neuerscheinung „Es ist ein Nah und Fern“ von Petra Ganglbauer. Erinnerungen an die Großmutter, Szenen mit der Mutter und ihrem Partner sind Ausgangspunkte des Erinnerns und Erzählens sowie von Reflexionen.
Die Kapiteleinteilung folgt einer chronologischen Dramaturgie. In drei Abschnitten nähern wir uns den jeweiligen Figuren an: Im Eingangskapitel „Und sie“ stehen die Großmutter im Fokus und die Erinnerung an einen Besuch in ihrem Haus:
„Wie diese mit weit aufgerissenen Augen,
die Haare zu Berge stehend, uns nicht erkennt“, S.16.
Der Wechsel der Jahreszeiten bildet die Klammer zwischen den Kapiteln, verweist auf die wiederkehrenden Abläufe, aber auch auf die Vergänglichkeit, die sich in der Natur und im Außen und Innen des Menschen zeigen:
„Wenn sie so dasitzt,
die Beine kaum noch hebt“, S.20/21.
„Und es war Sommer, Herbst, Sommer, Herbst“, S.24.
Erzählt wird abwechselnd aus der Sicht des Kindes und aus der Erwachsenenperspektive:
„Ein Blitzbesuch am Heiligen Abend (…).
Einmal kurz hochgehoben und ein Kuss“, S.29.
Atmosphärisch aufgeladen wirken die Texte und vermitteln ein Gesamtbild, etwa, wenn wir von „porösen Seelen“ lesen.
Im abschließenden Kapitel „Und ich, und sie“ rückt die Autorin das lyrische Ich in den Mittelpunkt und zoomt uns Leser:innen in die unmittelbare Nähe des Ichs, schafft Identifikation mit der Figur:
„Ich. Ich.
Die sich nur zwischen den Orten daheim fühlt.
Im Doppelpunkt“, S. 52.
Vergänglichkeit klingt in den letzten Versen an und fokussiert noch einmal die Mutter-Tochter-Beziehung, gleicht den Aufzeichnungen Chantal Akermans während der letzten gemeinsamen Tage mit der Mutter. Bei Petra Ganglbauer liest sich das so:
„Und ich und sie.
Und ich, die oft nicht weiß, wie alt ich bin (…).
Ob ich bin.
Ob ich überhaupt verlässlich existiere.
Ohne sie.
Ohne ihre Erinnerung an mich“, S.60.
Die Lyrikerin Petra Ganglbauer hat einen sprachmächtigen Kurzprosaband vorgelegt, der unmittelbar anschließt an ihre beiden vorangegangenen Veröffentlichungen „Wie eine Landschaft aus dem Jahre Schnee“ (2017) und „Die Tiefe der Zeit“ (2021), der beide aber an Intensität übertrifft. Eine Ermutigung, eigenen Erinnerungen und Beziehungsgeflechten nachzuspüren und sie in eine literarische Form zu bringen.
Cornelia Stahl, Juni 2025
Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich.
Petra Ganglbauer: Es ist ein Nah und Fern.
Weitra: Verlag Bibliothek der Provinz 2025
64 Seiten
13 EURO
ISBN: 978–3‑99126–289‑3
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