Niemand hat es kommen sehen – Gudrun Lerchbaum

Eine Rezen­sion von Britta Mühlbauer

Maria Arnold war ein Jahr lang verschwunden. Nun lebt sie wieder in ihrem Heimatort Eich­schlag im Wald­viertel. Sie behauptet, sich nicht erin­nern zu können, was ihr in der Zeit ihrer Abwe­sen­heit zuge­stoßen ist. Es gibt Vermu­tungen und Gerüchte und einen Erpres­sungs­ver­such. Als die Krimi­nal­po­lizei an ihre Tür klopft, wird es für Maria schwierig, ihr Schweigen aufrechtzuerhalten.

Niemand hat es kommen sehen“ ist die Fort­set­zung von Gudrun Lerch­baums 2023 erschie­nenem Roman „Zwischen euch verschwinden“ . Im Vorgän­ger­roman erleben wir, was Maria Arnold als Kell­nerin und als 24-Stunden-Pfle­ge­kraft zuge­mutet wird, und wie sie lernt, sich zu wehren.

Im Folge­band, „Niemand hat es kommen sehen“, suchen die Kripo-Beamten Theo Nebel und Mel Ramsauer nach einer Zeugin für den Mord an einer Pinz­gauer Gast­wirtin. Des Mordes ange­klagt ist deren Sohn. Nach einem DNA-Abgleich aller­dings wird Maria von der mögli­chen Zeugin zur Verdächtigen.

Jede Geschichte lässt sich auf viele Arten erzählen“, meint Gudrun Lerch­baum in der Nach­be­mer­kung.  „Niemand hat es kommen sehen“ wird aus drei Perspek­tiven erzählt.
Da ist Maria, die zentrale Figur, die nicht nur in Gesprä­chen einsilbig ist. Auch in Gedanken ist sie ständig auf der Hut. Wir erfahren nur in Andeu­tungen, was sie erlebt hat.

Der Kripo-Beamte Theo Nebel hält Maria für ein typi­sches Opfer, er vermutet, dass sie während ihres Verschwin­dens einge­sperrt war (womit er nicht ganz daneben liegt). Seine Kollegin Mel hingegen traut Maria, dem stillen Wasser, alles zu, auch einen Mord.
Eine weitere  Perspek­tive steuert der Jour­na­list Lando Kaza­ryan bei. Er sucht nach einem Aufhänger für eine Story, mit der er den Chef­re­dak­teur eines großen deut­schen Nach­rich­ten­ma­ga­zins beein­dru­cken möchte. Dabei stößt er auf Marias Geschichte. Er deckt die Hinter­gründe für den Mord an der Pinz­gauer Gast­wirtin auf – eine Verflech­tung von Orts­kai­sertum, Miss­brauch und Ausbeu­tung von Arbeits­kräften in der Gastro­nomie und persön­li­cher Kränkung.

Wie in allen Romanen von Gudrun Lerch­baum geht es in „Niemand hat es kommen sehen“ nicht nur um eine span­nende Story.
Diesmal steht das Thema Geschlech­ter­rollen und Geschlechter(un)gerechtigkeit im Zentrum. Dabei zeigt sich der Kripo-Beamte Theo Nebel in Gender­fragen so sensibel und selbst­kri­tisch, dass seine Kollegin Mel ihn „Mr. Woke“ nennt.
Es geht um die Ausbeu­tung von Arbeits­kräften in der Gastro­nomie und die Verflech­tung von Tourismus und Lokal­po­litik. Und auch der Jour­na­lismus ist Thema. Den wilden Speku­la­tionen des Boule­vards wird die redlich recher­chierte Repor­tage gegenübergestellt.

Wer „Zwischen euch verschwinden“ nicht kennt, kann in „Niemand hat es kommen sehen“ verfolgen, wie Motiv und Hergang eines Mordes rekon­stru­iert werden. Wer den Vorgän­ger­roman gelesen hat, wird einmal mehr mit Maria Arnold sympa­thi­sieren. Diesmal muss sie sich gegen unge­rechte und unzu­tref­fende Unter­stel­lungen stemmen. Es ist span­nend zu verfolgen, ob und wie sie aus der Enge heraus­kommt, in die sie von mehreren Seiten getrieben wird. Unter­stüt­zung bekommt sie jeden­falls von einer kämp­fe­ri­schen Kuchen­bä­ckerin und einer kompe­tenten Anwältin.

 

Britta Mühl­bauer, August 2025

Für die Rezen­sionen sind die jewei­ligen Verfasser:innen verantwortlich.

 

Gudrun Lerch­baum: Niemand hat es kommen sehen
Wien: Haymon 2025
284 Seiten
17,90 EUR
ISBN 978–3‑7099–8254‑9

 

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