papier­flieger / luft. Gedichte. – Jörg Zemmler

Eine Buch­re­zen­sion von  Barbara Rieger

Um aus einem Blatt Papier ein Gerät zu erschaffen, das fliegt und sein Ziel erreicht, bedarf es neben dem Know-How vor allem Präzi­sion. Dasselbe gilt für einen gelun­genen Gedichtband.

Mit komm / mit lädt die erste Seite von Jörg Zemm­lers papier­flieger zur nächsten ein. Auf jeder Seite findet sich ein meist aus wenigen Worten bestehendes Gedicht, das Raum für die eigene Fantasie lässt. Insge­samt sind es viele kurze Texte, die aufein­ander Bezug nehmen, gleich­zeitig ist es ein langer Text, ein Gesamt­be­zugs­ge­flecht zwischen zart türkisen Buch­de­ckeln, in welches man jeder­zeit an jeder Stelle einsteigen kann. Seiten­zahlen gibt es darin nicht, nicht weil die Anord­nung zufällig ist, sondern weil die Worte eine leere Seite brau­chen so wie ein Papier­flieger die Luft.

Die Worte stehen da wie Noten auf einem unsicht­baren Noten­blatt und ergeben eine atonale, lako­nisch-melan­cho­li­sche Melodie, die typisch für den Autor (und Musiker) Jörg Zemmler ist. In Streif­lich­tern erzählt er von einer Welt, in der nichts in Ordnung zu sein scheint: der regen / kam nicht aus / es regnete / nie mehr. Er stellt exis­ten­ti­elle Fragen (wovon leben / wovon träumen / ist das / nicht / dasselbe) und gibt unbe­queme Antworten (die wahr­heit / kannst du / weder kennen / noch leugnen), er spielt aber auch mit den Lese­rInnen: da musst du schon mit / sonst bleibst du noch da.

Mitkommen empfiehlt sich unbe­dingt, auch wenn Jörg Zemm­lers Gedichte über das Leben ein wenig schmerzen. Doch wenn sie nicht schmerzten, wären sie nicht so schön.

Dieser papier­flieger fliegt richtig gut.

 

Barbara Rieger, 2016

Für die Rezen­sionen sind die jewei­ligen Verfas­se­rInnen verantwortlich.

 

Jörg Zemmler: papier­flieger / luft. Gedichte
Wien: Klever Verlag, 2015
224 Seiten
EUR 19,90
ISBN: 978–3‑902665–99‑7