Riesendisteln beißen nicht – Laura Nussbaumer
Eine Rezension von Britta Mühlbauer
Marlin zieht zum Studium nach Wien. Wie viele Erstsemestrige fühlt sie sich zunächst einsam, unsicher, bedeutungslos. An der Uni herrschen Anonymität und organisatorisches Chaos. Es scheint unmöglich, Freundschaften zu schließen, und auch die Suche nach einem WG-Zimmer stresst. Was Marlin gegen die Verlorenheit in der fremden Umgebung hilft, ist ihr Sinn fürs Absurde. Ein origineller Blick auf die Welt macht das Leben leichter. Und er beschert Marlin in Gesprächen – zu ihrer eigenen Überraschung – die Aufmerksamkeit ihres Gegenübers.
Bei der Abreise aus Vorarlberg fällt ihr am Bahnhof eine etwa gleichaltrige Person auf, die sie interessiert, die sie sich aber nicht anzusprechen traut. In Wien treffen die beiden mehrmals zufällig aufeinander. Robin ist selbstsicher, sorglos, witzig und manchmal hemmungslos selbstbezogen, deklariert sich als nicht binär und will mit dem geschlechtsneutralen Pronomen dey angesprochen werden. Leider erinnert dey sich nie an Marlin, was dieser – natürlich – peinlich ist. Doch niemals würde sie Robin darauf hinweisen, dass sie einander bereits kennen.
Erzählt wird in Du-Form, aus Sicht von Marlins imaginärer Freundin Louisa. Die beobachtet sehr genau, was Marlin nicht zu sehen bereit ist. Damit sind die Leser:innen klüger als die Hauptfigur und können die Situationskomik und die dramatische Ironie des Textes genießen.
Louisa reagiert verschnupft, als Marlin sich nach und nach mit Robin anfreundet. Sie ahnt, dass hier mehr als Freundschaft entstehen könnte. Doch Marlin weiß nicht, ob sie eine Beziehung will und wenn ja, welche. Körperliche Nähe irritiert sie, es stellt sich heraus, dass sie noch nie Händchen gehalten hat, von Küssen ganz zu schweigen. Sie fragt sich, ob sie asexuell ist.
Einer einfachen Antwort steht die allgegenwärtige Heteronormativität im Weg: „Alle gehen davon aus, dass du heterosexuell bist, bis du das Gegenteil beweist.“ Auch Marlins Mutter bildet da keine Ausnahme. Sie macht sich Sorgen, wie es beziehungstechnisch mit ihrer Tochter weitergehen soll, und was Bekannte dazu sagen könnten – Anlass für wiederkehrende Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Tochter.
Dass Laura Nussbaumer auch Lyrikerin ist, zeigt sich in der Sprache dieses in erfrischend jungem Ton geschriebenen Debütromans. Da „knurpst“ eine Katze ihr Trockenfutter, es ist die Rede von „frisch gefallener Abenddämmerung“ und die Kapiteltitel beinhalten ganze Geschichten: „Der Unterschied zwischen ‚ok‘, ‚ok.‘, ‚OK‘ und ‚Okay‘ liegt in der passiven Aggressivität.“
Es passt zum schrägen Humor dieses, bei allem Ernst, wunderbar vergnüglichen Romans, dass ausgerechnet eine Riesendistel zum Symbol für heraufdämmernde Harmonie wird.
Britta Mühlbauer, Juli 2024
Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich.
Laura Nussbaumer: Riesendisteln beißen nicht
Wien: edition fabrik.transit 2023
221 Seiten
20,00 EUR
ISBN 978–3‑903267–51‑0
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