Zweimal Stadt in Text und Bild – Eine Stadt von Linda Wolfsgruber/Die graue Stadt – Torben Kuhlmann
Eine Rezension von Brigitta Höpler
In meiner Begeisterung für Bilderbücher folge ich gerne dem Autor Heinz Janisch, der meint, dass diese Gattung eine unterschätzte Kunstform für jedes Alter ist. Bücher mit Bildern sind wie eine kleine Ausstellung zum Umblättern, für Kinder genauso wie für Erwachsene. Geschichten werden sozusagen doppelt erzählt: in Text und Bild.
Das trifft auch auf die Stadtbücher „Eine Stadt“ von Linda Wolfsgruber (Verlag Kunstanstifter) und „Die graue Stadt“ von Torben Kuhlmann (NordSüd Verlag) zu. Beide Bücher enthalten großformatige Bilder, die eine eigenständige Geschichte erzählen und nicht nur das Geschriebene veranschaulichen. Beide Autor:innen stehen mit ihrem Werk für große Bilderbuchkunst. Beide haben das Buch jeweils geschrieben und die Bilder dazu gemalt.
In beiden Verlagen, Kunstanstifter und NordSüd Verlag, steht das Gesamtkunstwerk Bilderbuch im Vordergrund: ein besonderes Zusammenwirken von Text, Bild und Buchgestaltung.
Linda Wolfsgrubers Buch trägt zwar den allgemeinen Titel „Eine Stadt“, bezieht sich aber auf einen ganz bestimmten Stadtteil von Wien, die Seestadt in Aspern. Die Architektur, die Straßen, die Plätze sind zu erkennen, die Stadtbilder stehen aber zugleich abstrahiert für jede neugebaute Stadt des 21. Jahrhunderts genauso wie in der Tradition der Städtebilder des italienischen Malers Giorgio de Chirico (1888 – 1978), auf den sich die Künstlerin explizit bezieht. Giorgio de Chirico konzentrierte sich in seinen Bildern auf surreale Stadtarchitektur, ihre Geometrie, ihre Materialität, auf ein Über- und Nebeneinander von Architekturteilen aus allen möglichen Epochen. Seine kulissenartigen Stadtansichten sind zeitlos.
In den Bildern liegt der Schwerpunkt auf der Stadtarchitektur, während der Text von den Menschen erzählt, die die Häuser, die Straßen, den öffentlichen Raum bewohnen und beleben. Wovon sie träumen, was sie planen, was sie arbeiten, wie sie wohnen, was sie glücklich macht, wie sie Freiräume schaffen. Und dass es letztendlich die Menschen sind, die eine Stadt ausmachen. Darauf bezieht sich auch der Untertitel des Buches „Begegnungen“.
Die Künstlerin erzählt über ihr Buch: „Ein Spaziergang im November in diesem neu erbauten Stadtteil inspirierte mich zum Malen von Bildern. Zuerst machte ich viele Fotos, ich war über mehrere Jahre hinweg gemeinsam mit Freunden dort, um die Stimmung zu jeder Jahreszeit einzufangen. Später, im Atelier, habe ich die Motive mit Bleistift auf die Leinwand übertragen. Um eine Umwandlung zur realen Stadt zu finden, druckte ich die Fotos in Schwarz-Weiß aus, damit ich meine eigenen individuellen Farben kreieren konnte. Das Malen mit Acrylfarben war für mich sehr entspannend, weil ich die Zeichnung präzise angelegt habe und ich mich somit auf die Details konzentrieren konnte. An manchen Stellen sieht man noch die Bleistiftzeichnung durchscheinen, was ich besonders gern mag.“
In Torben Kuhlmanns Buch „Die graue Stadt“ begibt sich die Protagonistin Robin in ihrem gelben Regenmantel engagiert auf die Suche nach den verlorenen Farben. Sie hat schnell das Gefühl, dass in dieser Stadt etwas nicht stimmt. Torben Kuhlmann entwickelt seine Geschichte auf zwei Ebenen, sie lässt sich auch nur anhand der Bilder erzählen.
Aufgrund der Materialien Beton, Asphalt, Stein wirken Städte natürlich schnell grau. Doch zeigen die Bilder auch fein nuanciert die Vielfarbigkeit von Grau. Das beginnt schon auf dem Cover mit den spiegelnden, changierenden Blockbuchstaben, setzt sich im Vorsatzpapier mit den gemalten Farbtuben unzähliger Grautöne fort: Qualmgrau, Graphit, Sandgrau, Taubengrau, Aschgrau, Nachtkatzengrau und so weiter. Dennoch ist Grau häufig negativ besetzt, verweist es in dieser Erzählung auf die Belehrung zu einer grauen Ordnung und wünschenswerten gesellschaftlichen Verhaltensweisen, wie Anpassung, Unterordnung, Disziplin. Robin findet farbige, widerständige Verbündete auf ihrem Weg durch die graue Stadt.
Das Bild der Stadt, das Torben Kuhlmann zeichnet, mit Fineliner, Zeichenstift, Aquarell, ist wie eine Stadtcollage aus unterschiedlichen Städten, Häusern und Epochen. Auch hier ein großes, abstrahiertes Stadtpanorama. Hinter Dachlandschaften mit Backsteinkaminen, Mansardendächern und Giebelfenstern wachsen geometrische Wolkenkratzer mit Rasterfassaden.
Richtig Freude macht es, genau zu schauen und die vielen Details in den Bildern zu entdecken: Geschäftsaufschriften, altmodische Fernseher, Autotypen der 1070er Jahre, eine Katze, ein Mops, Tauben, ein Fisch, Versatzstücke aus Kuhlmanns anderen Büchern.
Der Text erzählt von Phantasie und Kreativität gegen eine farblose Realität, von Engagement und Widerständigkeit gegen ein unterdrückendes System.
Beide Bücher sind ein Plädoyer für Freiheit und Vielfalt, für offene, bunte, vielfältige Städte, in denen unterschiedliche Menschen gut zusammen leben können, für kreative, phantasievolle Stadtgestaltung.
Brigitta Höpler. April 2024
Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich.
Linda Wolfsgruber: Eine Stadt – Begegnungen
Mannheim: Kunstanstifter 2025
44 Seiten
25,70 Euro
ISBN: 978–3‑948743–41‑3
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Torben Kuhlmann: Die graue Stadt
Zürich: NordSüd Verlag 2023
64 Seiten
20, 60 Euro
ISBN: 978–3‑314–10652‑1