Mitte des Lebens. Eine Philosophie der besten Jahre – Barbara Bleisch
Eine Rezension von Cornelia Stahl
Die Lebensmitte – „ein weißer Fleck auf der Landkarte?“ (Henry David Thoreau)
Barbara Bleisch, Schweizer Philosophin, fasste mit neununddreißig Jahren den Entschluss, sich intensiv mit dem Thema der Lebensmitte auseinanderzusetzen und eine Art persönliche Standortbestimmung vorzunehmen. Ihre Forschungsergebnisse liegen vor uns.
In sieben Kapiteln nimmt Bleisch die besten Jahre zwischen Vierzig und Sechzig in den Fokus, reflektiert Themen wie Reue, Bedauern und Ambivalenz und spürt im Kapitel „Alles erreicht“ zurückliegenden Erfolgen nach, äußert auch Kritik:
„Das Problem ist, dass es oft nur ums Abhaken geht“ (Winfried Conradi im Film TONI ERDMANN); S.157.
Dialogisch bezieht uns Barbara Bleisch ein, hält Leser:innen den Spiegel vors Gesicht, um dem eigenen Lebensgefühl ein Stück näher zu kommen. Mit einem Grundton der Ernüchterung fragt die Autorin: „War es das schon?“ und lotet Möglichkeiten eines Umbruchs während der mittleren Jahre aus. Für den einen ist der Neubeginn eine Option, andere fühlen sich in Alltagsroutinen zu Hause.
Ganz bewusst grenzt sich die Philosophin vom Genre der Ratgeberliteratur ab: „Dieses Buch ist dabei dezidiert kein Ratgeberbuch, das zu sagen können meint, wie man die mittleren Jahre produktiv gestaltet und einer Lebenskrise schnellstmöglich entfliehen kann“, S. 35. Möglichen biografischen Brüchen in der Lebensmitte gewinnt Barbara Bleisch Positives ab und bezeichnet Krise „als einen Zustand, den wir nutzen können, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen“, S.35.
Für Bleisch ist die Lebensmitte ein „Hochplateau“, von dem aus „wir hoffentlich aus reichen Erfahrungsschätzen schöpfen und neue gewonnene Spielräume nutzen“, S.241. Sie argumentiert von ihrem persönlichen Standpunkt aus, der Wahlmöglichkeiten bereithält. Menschen, die a priori mit weniger Chancen der Teilhabe am Leben ausgestattet sind, kommen in der Lektüre nicht vor. Einander Halt geben und sich in Lebenskrisen unterstützen, um diese bewältigen zu können, wäre eine mögliche Haltung.
Am Ende der philosophisch fundierten Betrachtungen findet die Autorin einprägsame Bilder für die Lebensmitte und markiert persönliche Vorstellungen von Freiheit: „Mich nicht durch die Tage schieben zu lassen, wie das Geröll einer Steinlawine, sondern entschlossen weitergehen auf der Wanderung meines Lebens“, S. 242. Ein aktivierender Ansatz, der Nachahmer:innen fordert.
Ein anregender Essay zur Mitte des Lebens und Gedanken, die uns prägen. Das ausführliche Literaturverzeichnis lädt zu Vertiefung des Themas ein. Allen Menschen empfohlen, die vor einer Standortbestimmung nicht zurückschrecken. Eine kluge Lektüre!
Cornelia Stahl, Mai 2025
Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich.
Barbara Bleisch: Mitte des Lebens.
Eine Philosophie der besten Jahre.
München: Hanser Verlag 2024
272 Seiten
26,50 Euro
ISBN: 978–3‑446–27968‑1
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