Achtsamkeit gegen die Leistungsgesellschaft
Ein Interview mit Petra Ganglbauer
Im Hier und Jetzt sein – wann gelingt das schon in einer Zeit, die Menschen vor sich her treibt und sie kaum mehr zum Durchatmen kommen lässt? Doch für den Schreibprozess braucht es Ruhe, Muse und Achtsamkeit, wie Petra Ganglbauer erklärt.
BÖS: Zwei Räucherstäbchen und dreimal “Om” am Tag – ist das schon Achtsamkeit?
Petra Ganglbauer: Diese Frage entlockt mir kein buddhistisches „Halblächeln“ sondern eines mit ganz nach oben gezogenen Mundwinkeln. Zwei Räucherstäbchen und dreimal am Tag „Om“ erfüllt genau jene Anforderungen, die die Leistungsgesellschaft an uns stellt. Rund um die Uhr arbeiten, möglichst viele Freizeitbeschäftigungen und – zum „Drüberstreuen“ – auch noch das. Alles zudem möglichst zügig wegen des Zeitmanagements. (Wieder so ein zweifelhafter Begriff!) Achtsamkeit ist ein bewusstes im Hier- und-Jetzt-Sein! Gewahr und ohne mentale Zwänge. Dies zu erreichen fällt gerade unter unseren gesellschaftlichen Bedingungen sehr schwer.
BÖS: Wie hilft die Achtsamkeit dem Schreiben, wie das Schreiben der Achtsamkeit?
Petra Ganglbauer: Achtsamkeit hilft uns beispielsweise dabei, uns über die eigentlichen und selbst gewählten oder auch fremd bestimmten Gründe unseres Schreibens klar zu werden. Überlebt unsere Wertvorstellungen in diesem Zusammenhang. Sei es, dass wir schreiben, um die kritische Stimme zu erheben, um uns selbst näher zu kommen oder um berühmt zu werden (ob das dann gelingt, ist eine andere Frage…). Das Schreiben wiederum hält uns dazu an, wahrnehmungszentrierter zu leben, mit allen Sinnen die Wirklichkeit zu erfassen. Dies sind nur zwei mögliche Antworten. Im Workshop soll ja dann einiges mehr herausgearbeitet werden.
BÖS: Gibt es eine literarische Form, bei der Achtsamkeit besonders gefragt ist? Falls ja, welche und warum?
Petra Ganglbauer: Achtsamkeit ist hinsichtlich der Form und freilich auch des Inhalts und vor allem in Bezug auf die Interdependenz von beiden stets zielführend. Ohne achtsamen Umgang mit Sprache kann ein Text nicht gelingen. Das impliziert durchaus das Spielerische, denn gerade ohne erzwungene Leistungsraster macht Schreiben Freude und gelingt durchaus im Hinblick auf Authentizität – beinahe wie von selbst!
Petra Ganglbauer leitet den Online-Workshop „Schreiben als Achtsamkeit“ am 12. November 2022. Die nächsten freien Plätze für den ONLINE-Workshop am 2. Dezember 2023 sind bereits buchbar unter office@boesmail.at
Foto: Marko Lipus