Der Markt liebt Kategorisierungen
Ein Interview mit Gertraud Klemm
Welche Autoren den Bechdel-Test bestehen würden und warum Mathematik jetzt salonfähig geworden ist, erzählt Gertraud Klemm im Vorfeld ihres Online-Workshops „Geschlecht und Text“.
BÖS: Wie hat sich die #metoo-debatte auf Literatur ausgewirkt?
Gertraud Klemm: Es ist jetzt salonfähig, zu zählen: Preisträger und Preisträgerinnen, Autoren und Autorinnen im Feuilleton und in Verlagsvorschauen, Rezensenten und Rezensentinnen, Juroren und Jurorinnen. Vor Metoo war Zählen und Prozent rechnen etwas Unanständiges und Unnötiges für kleinliche Feministinnen, die die gottgewollte Genialität des schreibenden und kunstmachenden Mannes nicht hinnehmen wollen.
BÖS: Gibt es auch männliche feministische Autoren? Falls ja, welche?
Gertraud Klemm: Jeder empathiefähige Autor, der sich traut, Geschlechterverhältnisse abseits der hegemonialen Normperspektive zu beschreiben. Im schlimmsten Fall auch zu Ungunsten seiner eigenen Geschlechtsgenossen. Das setzt natürlich eine gewisse Reflektiertheit über die eigenen Privilegien voraus. Da fallen mir nicht so viele ein. Ein feministischen Engagement schadet auch nicht. Da fallen mir noch weniger ein. Zugegeben: Ich lese vorwiegend Autorinnen. Zur ersten Überprüfung böte sich auch der Bechdel-Test an: John Irving, Gabriel Garcia Marquez, Jeffrey Eugenides, TC Boyle würden ihn bestehen.
BÖS: Woher kommt die Kategorisierung für Frauenliteratur?
Gertraud Klemm: Der Markt liebt Kategorisierungen, dann weiß der Kunde, was er wollen soll. Männliche Leser schwarz / silberne Thriller, weibliche Leser rosa Blumen und Prosecco Unterhaltung. Die Trivialliteratur ist wie Fastfood: Fett, Zucker, Salz, Weißmehl und Fleisch geht jederzeit, immer und überall. Vor allem dann, wenn man noch nie was anderes probiert hat.
Anmerkung der Redaktion: Den Bechdel-Test machte 1985 die amerikanische Cartoon-Zeichnerin und Autorin Alison Bechdel in ihrem Comic „Dykes to Watch Out For“ (deutsch Bemerkenswerte Lesben) bekannt. Er wird vielfach herangezogen, um Stereotypisierungen weiblicher Figuren in Spielfilmen wahrzunehmen und zu beurteilen. Er besteht aus drei Fragen:
- Gibt es mindestens zwei Frauenrollen?
- Sprechen sie miteinander?
- Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann?
In jüngeren Varianten des Tests wird zusätzlich gefragt, ob die beiden Frauen im Film einen Namen haben.
Gertraud Klemm leitet den ONLINE-Workshop “Geschlecht und Text” am 28./29. November 2020.
Foto: Andrea Peller