„We are streaming“ – Das war der Literatursalon am 14. November 2020
Ein Beitrag von Brigitta Höpler und Laura Nußbaumer
Die Organisatorin
Der Literatursalon im September konnte noch mit sehr gezähltem Publikum, Masken, Abstand und offenen Fenstern im BÖS Atelier stattfinden. Dass wir für den November ein anderes Format finden müssen, war schnell klar.
Mitte Oktober, als die ersten Absagen im Kulturbetrieb kamen, brachte die Autorin Erika Wimmer die Idee der Mantellesung im Freien auf: „eine Stunde in der Kälte war für Fans von Eishockey, Schievents, Ischgl inclusive, noch nie ein Problem. Wir lesen im Mantel, die Zuhörenden hören im Mantel zu.“
Die ursprünglich geplante Ausstellung von Natalie Deewan ließ sich auch leicht in eine „Anagrammwanderung“ umwandeln, entstehen viele ihrer Arbeiten ohnehin im Stadtraum und sind dort zu sehen.
Harald Jöllinger schrieb als Antwort auf meine unzähligen Mails rund um die möglichen Formen dieses Literatursalon „Ja super. Mantellesung. Das ist ja knapp nach Martini. Ich geh mit meiner Laterne … Da kann man auch schon einen Schal nehmen statt der schiachen Maske.“
Jedenfalls haben wir uns alle auf die coronasichere Mantellesung mit Anagrammwanderung gefreut, ich hätte Tee und Rotwein gebracht, begonnen hätten wir im Hof des BÖS. Bald zeichnete sich durch verschärfte Verordnungen bis Lockdown schon ab, dass wir das so auch nicht durchführen können.
Dann also eine „Veranstaltung ohne Publikum“, wie es die Verordnung möglich macht. Wo wir sonst alle verfügbaren Sitzgelegenheiten hinstellen, platzierte Peter Bosch drei Kameras. Der Büchertisch wurde zum Mischpult, mit Laptop und Bildschirmen. „Wenn du zum Publikum sprichst, musst du in die rechte Kamera schauen“, sagt mir Peter Bosch, und dann sind wir online.
Die Zuseherin
Als Unterbrechung der Tradition in dieser ungewöhnlichen Zeit, ist die Verfolgung der Lesung über YouTube zweifellos eine seltsame Erfahrung. Kein Zusammenkommen mit den Lesenden und Hörenden, kein Buffet mit leckeren bestrichenen Broten und Wein, kein Stöbern im Büchertisch. Im Austausch zu dieser immer wieder genossenen Tradition, war es eine schöne Gelegenheit auch Freund*innen und Familie außerhalb von Wien an der Lesung teilhaben zu lassen.
Moderatorin Brigitta Höpler eröffnet den Abend, begrüßt das Publikum zuhause vor dem Bildschirm in dieser ungewohnten Situation, und stellt die Lesenden vor. Im Hintergrund kann man Blicke auf die fliegenden Teppiche aus der Ausstellung „Reif für die Insel“ von Erika Kronabitter erhaschen. Die Lesung beginnt, ich klatsche zuhause auf dem Sofa in den Laptop hinein.
Stimmung muss sein.
Daniela Meisel liest. Über Mädchen, Mütter und Großmütter, über die Natur und die Sprache der Frauen. Erzählt, was sie erzählen und was über sie erzählt wird, und von Bücklingen, Astspitzen, Gimpeln und Ameisenhaufen.
Johannes Tröndle liest. Gedichte. Mit Schneeohren, Zaunwinden, Luftwurzeln, Ringelspielen, Nachhallen von Schalltoten, und in neueren Werken: Tauben werden Ohrenhöhlen gelegt und Zeichenstifte dichten in Rot aufpoppenden Listen.
Harald Jöllinger liest aus seinem Text aus der Nacht der schlechten Texte. Mit Peitschen-Joe und Grässlichem Jörg. Da gibt es eine Entführung, Schießereien, schließlich eine Beerdigung und den Kuss der schönen Rebekka zur Belohnung.
Den Abschluss machen einige künstlerische kurze Videos von Natalie Deewan mit Bezeichnung „Leerstandsanagramme 1–12“. Die verwirklichten und nicht-verwirklichten Anagramme können über Wien verteilt an leerstehenden Gebäuden gefunden werden. Die Putzerei wird zur Puren Zeit und die Tischlerei zur Strichelei.
Wie schön, dass der Literatursalon auch in dieser „verstreuten Version“ zustande kommen konnte. Ein bisschen Heimweh bekommt man, danach wieder dabei zu sein.
Brigitta Höpler, Laura Nußbaumer 2020
Der Livestream zum Nachschauen auf YouTube
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Fotos: Peter Bosch / Brigitta Höpler