Manche Texte gewinnen durch den Vortrag

Ein Inter­view mit Harald Jöllinger

Der Lite­ra­tur­salon findet zum ersten Mal als Stream statt. Neben Daniela Meisel und Johannes Tröndle liest auch Harald Jöllinger. Von ihm wollten wir wissen, was wir hören werden.

BÖS: Warum sind deiner Meinung nach Lite­ra­tur­sa­lons wichtig?

Harald Jöllinger: Wichtig, wichtig … Also wenn’s keine Lite­ra­tur­sa­lons geben würde, würd’ ich mich auch nicht extra aufhängen. Aber das stimmt schon, ich war gern als Zuhörer bei solchen Lite­ra­tur­sa­lons. Wenn man sich für Musik inter­es­siert, stöbert man ja auch nicht nur in alten, vergilbten Noten­blät­tern, sondern man geht in Konzerte, hört auch Zeit­ge­nös­si­sches. Und bei den Lite­ra­tur­sa­lons lesen zumeist Autoren und Autor­innen, die noch lebendig sind, aus eigenen Texten. Manche Texte, die sich beim stillen Lesen nicht erschließen, gewinnen durch den Vortrag. Dann gibt’s wieder Leute, die können zwar schreiben, blamieren sich aber bei der Lesung. Das dient der Scha­den­freude. Aber bei Lite­ra­tur­sa­lons in Meid­ling hab ich das noch nie erlebt.

BÖS: Falls du dich schon für Texte entschieden hast – kannst du uns ein biss­chen spoilern?

Harald Jöllinger: Ursprüng­lich wollt ich was zum Thema November lesen. Einen Text über den Nebel im Kopf eines Mannes, die Demenz, die schließ­lich tötet. Aber dann … Ich mein’, jetzt gibt’s eh so wenig zu lachen. Ich les’ also was Lustiges. Vor vier Jahren hab ich ja einen ganz schlechten Text geschrieben, für den hab ich in Villach bei der Nacht der schlechten Texte den Publi­kums­preis gewonnen. Den hab ich noch nie zur Gänze öffent­lich vorge­lesen, aber im November hab ich Zeit. Der Text ist übri­gens nicht nur schlecht, sondern auch grauslich.

BÖS: Welche Rolle spielt Schreiben in deinem Leben?

Harald Jöllinger: Das klingt viel­leicht seltsam, aber ich schreib gar nicht so gern. Wenn ich am Computer tippen will, fällt mir nichts ein und wenn ich händisch etwas aufschreib’, kann ich meine eigene Klaue nicht entzif­fern. Es ist ein rechtes Gfrett mit der Schrei­berei. Aber ande­rer­seits schreib ich ja regel­mäßig, veröf­fent­liche auch immer wieder Texte. Das muss ja einen Grund haben. Wenn ich einmal über meinem Niveau formu­lieren darf: Schreiben ist meine Art der Tran­szen­denz. Manche reli­giösen Leute hoffen auf ein Leben nach dem Tod im Himmel. Oder in der Hölle, dort ist es zwar nicht so gemüt­lich, aber man lebt ja trotzdem weiter. Ich glaub einfach nicht daran. Andere Leute leben durch ihre Kinder weiter, gründen ganze Dynas­tien. Ich hab nichts gegen Kinder, aber allein leben ist weniger kompli­ziert. Trotzdem: Wenn es den Tod schon gibt, man muss doch irgend­etwas dagegen tun. Der alte Cheops zum Beispiel. Wir wissen nicht, ob er ein Grant­scherm oder ein Galan war, aber wir wissen, er hat sich eine Pyra­mide bauen lassen. So lebt wenigs­tens sein Name weiter. Aber heute Pyra­miden bauen …? Da ist es einfa­cher, man schreibt ein paar Texte. Die werden dann veröf­fent­licht in Zeit­schriften, Antho­lo­gien oder Büchern, und die kugeln dann in Biblio­theken herum. Und irgend­wann einmal, wenn die Würmer mich verspeist haben werden, dann wird irgendwer zufällig einen Text von mir lesen und sich denken: „Aha, da hat es einmal so einen Jöllinger gegeben und das war ein alter Grantler.“ Und darauf freu’ ich mich schon jetzt.

 

Der Lite­ra­tur­salon mit Daniela Meisel, Harald Jöllinger und Johannes Tröndle findet am 14. November ab 17:30 Uhr als LIVESTREAM statt. Dazu wird Nathalie Deewans Video „Leer­stands­a­na­gramme 1–12“ gezeigt. Es mode­riert Brigitta Höpler.

Foto: Alain Barbero