Der Kitsch nimmt sich selbst ernst
Ein Interview mit Petra Ganglbauer
Kinder lieben das Lautmalerische an Gedichten. Doch diese Hingabe geht mit der Zeit verloren. Dabei bieten sie eine Chance zum Innehalten, sagt BÖS-Lehrgangleiterin Petra Ganglbauer.
BÖS: Die Literaturnobelpreisträgerin 2020 ist mit Louise Glueck eine Lyrikerin. Was sagst du zu dieser Entscheidung?
Petra Ganglbauer: Ich finde es grundsätzlich gut, dass eine Entscheidung getroffen wurde, die einiges vereint: Es handelt sich nicht nur um eine Frau, sondern auch um eine in unseren Breiten nicht sehr bekannte Autorin und zudem um eine Lyrikerin. Wie wir wissen, gilt Lyrik als jene literarische Gattung, die bis heute bei jeglichen Entscheidungen, sei es im Verlagsbereich, bei Preisvergaben oder auch bei Stipendien-Zuwendungen benachteiligt wird. Insofern ist diese Entscheidung ein wichtiges Signal. Freilich gäbe es auch hierzulande Lyrikerinnen, die mehr als preiswürdig wären.
BÖS: Gluecks Lyrik ist da und dort als kitschig bezeichnet worden. Ab wann ist Lyrik Kitsch?
Petra Ganglbauer: Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Kitsch ist beispielsweise kein Kitsch, wenn er im jeweiligen Kontext gebrochen wird oder wenn er bewusst eingesetzt wird, indem er etwas überhöht, um das Banale hervorzukehren. Das Wesen des Kitsches jedoch ist, dass er sich selbst ernst nimmt. Genau dann wird es problematisch.
BÖS: Warum ist Lyrik – abseits von Literaturnobelpreisverleihungen – so wenig präsent in der öffentlichen Wahrnehmung?
Petra Ganglbauer: Viele Menschen tun sich mit Lyrik schwer – solange sie ganz klein sind, allerdings noch nicht, da lieben sie Lautmalereien und Reime, allerdings wird das Verständnis für Gedichte in den Schulen nicht gerade trainiert, wie überhaupt bestimmte Gattungen oder Zeitgenössisches zu kurz kommen. In die Lyrik muss man Schritt für Schritt eingeführt werden. Dann wird es richtig spannend, zumal es so viele Facetten von Lyrik gibt. Gedichte eignen sich bestens, um in unserer Info-überfrachteten Zeit einmal innezuhalten und ein paar verdichtete Zeilen zu lesen. Sie sind, genau genommen, eine äußerst zeitgemäße literarische Gattung, weil sie kompakt und jederzeit rezipierbar sind. Verlage beziehungsweise Kritiker wagen sich jedoch nach wie vor wenig an Gedichte heran, zu schwer wiegen die marktstrategischen Überlegungen, die Mainstream und dicke Wälzer aller Art fokussieren. Der oberflächliche Gewinn liegt also eher bei der Wahrnehmung dieser. Dennoch hat es in den letzten Jahren so etwas wie neue verlagstechnische Impulse in Richtung Lyrik gegeben; leider jedoch wechseln jene Editionen, die Lyrik im Programm haben, mit jenen ab, die gerade wieder Lyrik aus dem Programm streichen.
Petra Ganglbauer, November 2020
Petra Ganglbauer leitet den ONLINE-Schreibworkshop „Lyrik“, am 7./8. November 2020.
Foto: Marko Lipus