Letzter Lite­ra­tur­salon des Jahres 2023

Ein Bericht von Tobias March

Am 28.10.2023 lasen Silja­rosa Schlet­terer, Günter Vallaster und Harald Darer im BÖS-Atelier. Brigitta Höpler moderierte. 

Sehr unter­schied­lich und viel­fältig waren die Beiträge, wenn man sich die Herkunft der Autor*innen und ihr Genre genauer anschaut.

Eingangs las Silja­rosa Schlet­terer, die biogra­fi­sche Wurzeln in Nieder­ös­ter­reich, der Schweiz und in Tirol hat. Mit Hunden und Flüssen ist sie aufge­wachsen, sagt sie. In ihrem Lyrik­debüt  „azur ton nähe – Fluss­dik­tate“, aus dem sie las, spie­gelt sich ein Universum an Fluss­land­schaften, das sie mit Hilfe von Koor­di­naten und einem Ordnungs­system versah, und Lesende auf bestimmte Pfade lockt.
Im Gespräch unter­strich Schlet­terer ihre Inten­tion, den Flüssen und Gewäs­sern etwas zurück­geben zu wollen. Sie betrachtet Wasser nicht nur als Lebens­raum und Inspi­ra­tion, sondern betonte die Dring­lich­keit, Verant­wor­tung für die Natur zu übernehmen.

Beispiele aus „azur ton nähe – Fluss­dik­tate“:
Kamp
48° 36 Minuten 58,8 Sekunden Nord
15° 29 Minuten 51,2 Sekunden Ost.
Wasser hat seinen eigenen Finger­ab­druck erkennst du ihn im Kräu­seln der Wellen nennst du seinen Namen?“
Die Autorin nimmt uns mit. „Auf eine Weise die nur Wellen verstehen, wurde dem Leben gedankt. Sie ist euer Wider­stand gegen Jahr­hun­derte alte Tren­nung.“ Die Autorin weiß: „Das Haus Erde ist anders, als du denkst.“
Kanal
48° 17 Minuten 6,4 Sekunden Nord
8° 10 Minuten 29,8 Sekunden Ost
Was Dich­tung über Wasser weiß, ist licht­zit­ternd. Ist licht­zit­ternd. Lässt sich kaum abste­cken zwischen Blau­pausen. Sind Grund­motiv auch in dir weder Dur noch Moll, ihr Hand­werk gelangt überall hin. Verän­dert sich ständig, aber bleibt.“ Beim Donau­kanal spielt das lyri­sche Ich „Erin­ne­rungs­bon­dage auf meiner Haut“ und will nur Fluss­ab­drücke in ihr behalten. „Will alle Knochen ausla­gern.“
Es gibt auch dialek­tale Ausflüge der Autorin zum Zembach.

Silja­rosas zweites Projekt „Einschrei­bungen“ beschäf­tigt sich mit den Themen Sexua­lität und Trauma und deren körper­li­chen Auswir­kungen. Das Projekt  ist zwei­spra­chig angelegt.

Günter Vallaster, BÖS- Mitglied und Dozent, war zweiter Vorle­sender des Abends. Er ist in Schruns/Vorarlberg geboren und bekleidet gleich mehrere Profes­sionen: Autor, Verleger, Heraus­geber, Kurator und Orga­ni­sator zahl­rei­cher Veran­stal­tungen. Günters typo­gra­fi­sche Arbeiten waren in der Ausstel­lungen während des Lite­ra­tur­sa­lons zu sehen. Visu­elle und trans­me­diale Poesie zählen zu den Schwer­punkten seiner Arbeit. An diesem Abend stellte Günter Vallaster ein weißes Blatt Papier aus, ein Schreib­ma­schi­nen­ty­po­skript.
Ein weiteres Werk war Iris – ein Figu­ren­ge­dicht. Das Wort Grenz­über­schnei­dungen ist in sehr vielen Spra­chen, korea­nisch und japa­nisch im diesem wunder­schönen, riesigen, blau-grünen Augen zu finden. Außerdem kleine Werke: Der Wecker, der nur aus Einsen und Nullern besteht und als Motiv für die Einla­dungs­karte diente.

Günter Vallaster las Gedichte aus der Antho­logie „Mich wundert das ich fröh­lich bin“, die im “Fröh­li­chen Wohn­zimmer” erschienen sind. Beispiel­ge­bend dafür ist

Häuser
Wände aus Bäumen. Dach aus Wolken. Tür zur Natur.
Wände aus Händen. Fenster aus Augen. Dach aus Ohren. Tür zum Mund.
Wände aus Pfeilen, Fenster aus Moni­toren, Dach zur Dauer­be­rie­se­lung, Tür zur virtu­ellen Realität.
Wände aus Wind, Fenster aus Isolie­rung, Dach aus Einschlägen, Tür zur Not.
Wände aus Worten, Fenster aus Bildern, Dach aus Musik, Tür zur Welt.“

Weiters las er aus der Antho­logie „Wien Schwe­den­platz poly­phon“, heraus­ge­geben von Lucas Cejpek und Margret Kreidel.
Ein Ausschnitt:
„Am Schwe­den­platz ist eine Kopier­an­stalt, da kannst du Tag und Nacht kopieren, da kannst du Tag und Nacht, da kannst. Der erste Job in dieser Stadt und steckst schon fest. Auf dem Schwe­den­platz grau gestufte Schatten huschen über das weiß­graue nichts.“ „Doch alles ist wie es scheint am Schwe­den­platz. Pracht­ku­lisse in Voll­farbe mit Kupfer­stich, Repro­faktor 141%. Büsten ragen aus bunten Parkers und Daunen­ja­cken. Warten auf den Reisebus.“
„Ein Teil strömt dicht­ge­drängt zum U‑Bahnzugang. Stau in der Zufuhr, öffnen sie die hintere Abde­ckung. Und, wo ist die Kopieranstalt?“

Der dritte Lesende des Abends war Harald Darer, der aus Mürzzuschlag/Steiermark stammt. Darers lite­ra­ri­sches Schaffen wurde unter­stützt von Stipen­dien und Preisen. Sein Debüt „Wer mit Hunden schläft“ erschien 2013 im Picus Verlag. In Folge schrieb Darer fünf Romane.  Aus seiner letzten Veröf­fent­li­chung, „Mongo“, die 2022 erschien, las der Autor.

Eine kleine Lese­probe aus „Mongo“.
“Im glei­chen Moment, wie ich gesagt habe, dass es schon werde wird, hat sie es auch bemerkt, hat gemerkt, dass ich mir dachte, dass es viel­leicht doch nicht wird.” Die Freundin Katja des Prot­ago­nisten Harry aus „Mongo“ ist schwanger. Doch rich­tige Vorfreude stellt sich nicht ein. “Ich sollte mich schämen, oder?“, sagt sie.
Katja hat Angst vor der Schwan­ger­schaft, „wegen Markus”. “Aber du hast mir doch schon einmal erklärt, dass das nicht vererbbar sei.“Katja sagt: „Noch heute zucke ich zusammen, wenn man fragt “Bist du behin­dert. Irgend­wann bin ich müde geworden, ihn zu vertei­digen“. Katjas Bruder Markus hat Trisomie 21. Sie erzählt, wie das Aufwachsen mit ihrem „behin­derten“ Bruder war: „Aus dem Kopf­strei­chel­zwang ist bei mir eine Kopf­strei­chel­phobie geworden, du weißt das“.

Nach einem reich­hal­tigen lite­ra­ri­schen Programm kamen Lesende und Gäste am Buffet ins Gespräch und ließen den Abend ausklingen.

Video der Veran­stal­tung auf YouTube

Fotos und Video: Peter Bosch