Mich faszi­niert die Stadt als Collage

Ein Inter­view mit Brigitta Höpler

Menschen sammeln sich um Texte. Und eine Stadt ist voller Text. Das faszi­niert BÖS-Dozentin Brigitta Höpler.

BÖS: Was genau verstehst du unter urbanen Textfeldern?

Brigitta Höpler: Ich folge den Gedanken des fran­zö­si­schen Autors und Kunst­theo­re­ti­kers Michel Butor, der in seinem Buch „Die Stadt als Text“ ein Bild von der Stadt als Text­spei­cher entwirft. Seine These lautet, dass nicht Texte entstehen, wo viele Menschen sind, sondern dass umge­kehrt, sich die Menschen um Texte gesam­melt haben. Überall in der Stadt begegnet uns Geschrie­benes, Hinweis- und Verbots­schilder, Denk­mal­in­schriften, Stra­ßen­namen, Werbung, Logos und jede Menge unsicht­barer Text in Biblio­theken, Archiven, Verwaltungen.

Die ganze Stadt ist ein weites und zugleich tiefes Text­feld. Die ganze Stadt ist voller Text, man wächst sozu­sagen in die Worte hinein. Mit meiner damals noch nicht sechs­jäh­rigen Tochter bin ich mit der Stra­ßen­bahn an einem Blumen­ge­schäft vorbei­ge­fahren, auf dem in großer, weißer Block­schrift „heute frische Rosen“ stand. Kurz darauf sagt meine Tochter, dass sie sich Rosen wünscht. So habe ich bemerkt, dass sie zu lesen beginnt.

In der Stadt entkommt man aller­dings, im Gegen­satz zur Natur, den Worten auch nicht. Was das Schreiben wiederum einfach macht. Ich kann Worte auflesen, sammeln, Häuser­zeilen schreiben und zu Texten zusam­men­fügen. Ich muss nicht so sehr aus mir heraus­schreiben. Ich kann ein vorhan­denes Text­ge­webe aufgreifen und weiterschreiben.

BÖS: Was faszi­niert dich an Städten?

Brigitta Höpler: Mich faszi­niert die Stadt als Collage, als Montage – ein Prozess des Aufbauens, Zusam­men­fü­gens, Kombi­nie­rens, Verflech­tens – aus unter­schied­li­chen Zeiten, Bedürf­nissen, Sehn­süchten, Funk­tionen, aus Geträumtem, Geplantem und Gewachsenem.

Ich sehe die Stadt auch als Palim­psest, der ursprüng­liche Text wurde immer wieder abge­schabt, abge­wa­schen und neu beschriftet. In der Stadt gibt es auch den unsicht­baren, den verbor­genen, den Subtext. Es ist span­nend in der Stadt zwischen den Zeilen zu lesen.

Ich liebe es Städte zu durch­steifen, zu Fuß, mit dem Fahrrad. Immer neue Entde­ckungen zu machen. Immer unter­schied­liche Inspi­ra­tionen zu bekommen, auch für meine Arbeit.

Und ich mag, dass die Stadt voll mögli­cher Begeg­nungen mit unter­schied­li­chen Menschen ist.

BÖS: Bringen urbane und rurale Schreib­im­pulse unter­schied­liche Seiten zum Klingen?

Brigitta Höpler: Die Stadt bringt eigene Text­sorten hervor, kurze Formate. Etwa die Montage, Anagramme, Wort­spiele aller Art. Ich arbeite mit Sprache als Mate­rial, mit vorge­fun­dener Sprache. Aufge­lesen oder gehört. So kann ich besser auf Distanz zu mir selbst gehen, Texte entstehen lassen, die ich so viel­leicht nie geschrieben hätte.

In der Natur bin ich viel stärker auf mich selbst zurück­ge­worfen, meine eigene Sprache, meine inneren Mono­loge in Reso­nanz auf die mich umge­bende Stille.

 

August 2020

Brigitta Höpler leitet den Work­shop „Urbane Text­felder“ am 5./6. September 2020.