Vom Eröffnen von Vorstellungs- und Assoziationsräumen
Ein Interview mit Günter Vallaster
Alle Sinneswahrnehmungen können wichtige poetische Textimpulse sein. Günter Vallaster über die Macht des visuellen Reizes.
BÖS: Welche Konstellation ist für dich die gelungenste Text-Bild-Kombination und warum?
Günter Vallaster: Es gibt so viele gelungene Text-Bild-Kombinationen, dass es mir schwerfällt, eine davon als beste hervorzuheben. Ich kann aber ein Beispiel nennen, das mir in der letzten Zeit aufgefallen ist.
Es zeigt äußerst gelungen die Möglichkeiten von „Text als Bild“ – das ist auch mein Part im BÖS-Workshop „Text und Bild / Text als Bild“, den ich gemeinsam mit Andrea Zámbori halte. Dabei handelt es sich um visuelle Poesie von Angelika Janz, die auf dem Cover ihres Bandes „Ausgewählte Werke 1: Visuelle Arbeiten und Essays“ (freiraum-verlag, Greifswald 2012) abgebildet ist.
Text und Bild setzen sich flächensyntaktisch in eins und erweitern sich dadurch wechselseitig zum Sprungbild, zu einem Fenster, mit den Anfangs- und Endbuchstaben von „Text“ und „Bild“ als Rahmen und dem Wort „Exil“ als Fensteröffnung oder Scheibe. Angelika Janz benutzt in ihren Arbeiten oft auch die Schreibmaschine, Stempel oder Letraset und das zeigt schon die enorme Bandbreite an typografischen Möglichkeiten, visuelle Poesie zu realisieren. Dazu kommen noch Computerprogramme, womit das Terrain der digitalen Poesie und Code Poetry betreten wird – dazu möchte ich Jörg Piringer, z.B. sein Buch “datenpoesie” (Ritter Verlag, Klagenfurt 2018) empfehlen – und natürlich die Handschrift:: Von der Kalligrafie mit ihrer langen historischen Tradition zum Beispiel in China und Japan (Shodō) kommend und im russischen Futurismus als Kunstsprache „Zaum“ für die moderne Kunst erschlossen, wird sie in der visuelle Poesie heute beispielsweise als Asemic Writing betrieben, das heißt als improvisatorisches Schreiben mit freier Zeichenfindung und Öffnung der Bedeutungsräume, wie es etwa Thomas Havlik in seinen Werken vorführt, bei ihm noch kombiniert mit Lautpoesie (Sound Poetry), gestischer Poesie, Lyrik, Musik und Tanz. Ein Beispiel aus seinem Band „durch / through“ (Hesterglock Press, Bristol 2019):
Mit einem Beispiel komme ich also nicht aus. Und natürlich können etwa mittels Collage noch weitere Bildanteile in den “Text als Bild” integriert werden. Und ich muss noch einen weiteren großen Bereich nennen, nämlich „Text und Bild“, der im Workshop „Text und Bild / Text als Bild“ von der Co-Workshopleiterin Andrea Zámbori abgedeckt wird, das ist die Buchillustration. Sie kann auch auf eine lange Tradition zurückblicken, ich nenne nur exemplarisch John Tenniel, bekannt durch seine Illustrationen zu Lewis Carroll, „Alice’s Adventures in Wonderland“ (1865). Heute erfolgt die Buchillustration über die Bereiche Umschlaggestaltung und Layout hinaus als Zusammenwirken von Sprachkunst und bildender Kunst entweder in Personalunion, wie in den Werken von Ilse Kilic, Fritz Widhalm oder Hanne Römer/.aufzeichnensysteme oder als Kooperationsprojekte meist für Lyrikbände wie Sophie Reyer und Petrus Akkordeon in „Vögel“ (edition wasser im turm, Berlin 2017), aber auch Prosa wie Raphaela Edelbauer und Simon Goritschnig in „Entdecker“ (Klever Verlag, Wien 2017). Andrea Zámbori hat auch schon einige Eigen- und Kooperationsprojekte zur Buch- und Textillustration realisiert, ein Beispiel aus dem BÖS-Workshop „Text und Bild / Text als Bild“ 2018, der Text ist von Marlies Thuswald:
BÖS: Welche Funktion können Bilder für Schreibende haben?
Günter Vallaster: Bilder, ob nun Zeichnungen, Gemälde oder Fotografien, auch Objektkunst, können natürlich immer eine starke Quelle der Inspiration für die Literatur sein. Die bildende Kunst und die Literatur haben sich historisch ja auch immer wieder wechselseitig stark beeinflusst. Ich nenne beispielhaft Impressionismus, Expressionismus, Surrealismus, konkrete Kunst und konkrete Poesie, Konzeptkunst und konzeptuelle Poesie. Die Anregungen können alle Aspekte betreffen, von der Farbwahl über die Perspektivik bis zum Stil. Es ließen sich nun auch zahlreiche literarische Werke aus der gesamten Weltliteratur aufzählen, die sich – auch epochenübergreifend – auf Bilder oder Skulpturen beziehen. Ebenso reichhaltig ist die poetologische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Literatur und bildender Kunst schon seit der Antike. „Ut pictura poesis“ heißt es bereits beim römischen Dichter Horaz, und dieses Verhältnis zu beleuchten, durchaus auch wie besonders seit dem Zeitalter der Aufklärung (vor allem Gotthold Ephraim Lessing) kritisch hinterfragend, ist nach wie vor ein spannendes Thema. Auch wenn Text und Bild eher als jeweils getrennte Bereiche mit eigenen Regularien eingeschätzt werden, so lassen sich doch sowohl in der Text-Bild-Interaktion als auch bei der wechselseitigen Text-Bild-Übersetzung und Übertragung der jeweiligen Ausdrucksmittel sehr interessante und überraschende Ergebnisse erzielen. Einen gemeinsamen Nenner bilden auf jeden Fall die Vorstellungs- und Assoziationsräume, die sowohl Text als auch Bild eröffnen. Bei aller Macht des visuellen Reizes finde ich es aber auch wichtig, alle anderen Sinneswahrnehmungen als wichtige poetische Textimpulse zu beachten: Akustik, Haptik, Geruch, Geschmack.
BÖS: Ist das gerade sehr populäre Handlettering eine Art von Text-Bild-kombination und was hältst du davon?
Günter Vallaster: In einer Zeit, in der immer mehr mit Tastaturen geschrieben wird, finde ich das Handlettering eine wichtige und interessante Möglichkeit, allein schon das Erlebnis Handschrift zu fördern und zu bewahren. Das Handlettering, eigentlich auch eine Form der Kalligrafie, nur mit weniger
aufwändigen Mitteln, reiht sich aus meiner Sicht auch in die Möglichkeiten für visuelle Poesie ein,
indem es kreative Wege der Schriftgestaltung und Schriftkombination und in weiterer Folge der
Text-Bild-Gestaltung eröffnet. Darin liegen durchaus Potenziale.
Günter Vallaster leitet gemeinsam mit Andrea Zambori den ONLINE-Workshop „Text und Bild/Text als Bild“ am 23./24.1.2021. Kurzentschlossene können sich noch anmelden unter office@boesmail.at
Foto: Martin Leitner