Vom Verwi­schen der Grenzen zwischen innerem Dialog und Ich-Erzählung

Ein Inter­view mit Silvia Waltl

Leider kann der Work­shop „Das Ich und seine Rollen“ nicht statt­finden. Trotzdem wollen wir euch einen Einblick in dieses Thema geben, das jede/n Schrei­benden beschäftigt.

 

BÖS: Hat sich die Erzähl­per­spek­tive von Texten in den vergan­genen Jahren verän­dert? Gilt etwas als altmo­disch, etwas gerade sehr ‘in’?

Silvia Waltl: Grund­sätz­lich ist in den letzten Jahr­zehnten eine stär­kere Subjek­ti­vie­rung des Erzäh­lens fest­stellbar. Aus der Mode gekommen ist der klas­si­sche aukt­oriale (allwis­sende) Erzähler, der den lite­ra­ri­schen Natu­ra­lismus geprägt hat und vor allem in erzäh­lenden Lang­formen wie Romanen zum Einsatz gekommen ist. Heute werden viele Romane subjektiv oder multi­per­spek­ti­visch, also aus wech­selnden subjek­tiven Perspek­tiven erzählt. Das ermög­licht größere erzäh­le­ri­sche Nähe und Iden­ti­fi­ka­tion, ein besseres Kennen­lernen der Figuren, aber auch mehrerer indi­vi­du­eller Blick­winkel, welche die Wahr­neh­mung verschie­dener Figuren jeweils in den Fokus rücken.

BÖS: Wie weit muss man sich vom Ich lösen (können), um einen lite­ra­ri­schen Text auf der Basis eigener Erfah­rungen zu schreiben?

Silvia Waltl: Das lite­ra­ri­sche Ich ist immer ein fiktives. Jede Erzähl­in­stanz ist ein Arte­fakt, also ein künst­lich geschaf­fener Stand­punkt, eine im Text instal­lierte Posi­tion, von der aus erzählt wird. Diese kann sich in der Hand­lung oder außer­halb der Hand­lung befinden. Gleich­zeitig trägt jede Figur, die wir als Autor­Innen gestalten, immer auch auto­bio­gra­fi­sche Züge der / des Schrei­benden in sich. Es gibt keine Figu­ren­ge­stal­tung ohne Rück­griff auf eigene Erfah­rungen. Empa­thie ist bei der Gestal­tung einer Erzäh­lung und ihres Figu­ren­per­so­nals ebenso wichtig wie im realen Leben, weil ich beim Schreiben immer nur auf das Wissen um meine eigenen Gefühle zurück­greifen kann, um emotio­nale und psycho­lo­gi­sche Motive oder Motive der inneren Hand­lung in einer Figur anlegen zu können.

Beim Schreiben kommen verschie­dene Tech­niken der lite­ra­ri­schen Verschlüs­se­lung zum Einsatz. Fiktio­na­li­sierte Auto­bio­grafie oder auch: Auto­fik­tion ist heute in der Lite­ratur weit verbreitet. Selbst bei der Insze­nie­rung von Figuren, die von mir als AutorIn vermeint­lich weit entfernt ange­sie­delt sind, spielt das auto­bio­gra­fi­sche Moment immer eine Rolle – und sei es, um uner­wünschte, nicht ausge­lebte Persön­lich­keits­an­teile in die Figur auszulagern.

BÖS: Was ist so schwierig daran, einen inneren Monolog zu verfassen?

Silvia Waltl: Der innere Monolog gibt vor, den / die LeserIn direkt in den Kopf der Figur hinein­zu­ver­setzen und ihr sozu­sagen beim Denken zusehen zu können. Bewusst­seins­in­halte sollen mithilfe des inneren Mono­logs direkt aus der Figur heraus in Echt­zeit (simultan) darge­stellt werden. Der innere Monolog ist die subjek­tivste Form des Erzäh­lens. Er dehnt die erzählte Zeit. Er bringt auf drama­tur­gi­scher Ebene einige Schwie­rig­keiten mit sich. So liegt ein Problem darin, dass Gedanken, Gefühle, Empfin­dungen, Affekte, Erin­ne­rungen und derglei­chen in Wirk­lich­keit selten sprach­ba­siert ablaufen, sondern häufig bild­haft mit starker emotio­naler Aufla­dung. Für den inneren Monolog müssen sie aber in Sprache über­tragen werden. Das stellt auto­ma­tisch eine Verfäl­schung dar. Als größte Hürde bei der Gestal­tung innerer Mono­loge kann der Erzähl­gestus an sich gesehen werden: Der innere Monolog erzählt nicht, er bildet ab, nämlich das Innen­leben der Figur. Das Verwi­schen der Grenzen zwischen innerem Monolog und Ich-Erzäh­lung im Zuge des Gestal­tens von Rollen­prosa passiert beim Schreiben sehr häufig, da man als AutorIn dem Leser, der Leserin immer etwas von der Figur erzählen will, was aber in Form des inneren Mono­logs eigent­lich nicht möglich ist. Fragen der Plau­si­bi­lität und der Authen­ti­zität der Erzähl­stimme und ‑perspek­tive stellen sich hier also in beson­derem Maße.

Foto: Burg­hard Unteregger