Kampagne mit Gummibärchen

Ein Inter­view mit Helwig Brunner

Wer Kürzest­prosa schreibt, entscheidet sich für Kompri­miert­heit und Präzi­sion, sagt Helwig Brunner. Autor der „Gummi­bär­chen­kam­pagne“.

BÖS: Was ist zu beachten, wenn man Minu­ten­no­vellen oder Kürzest­prosa schreiben möchte?

Helwig Brunner: Kürzest­prosa braucht eine zündende Idee, die man im selben Moment schon wieder in die Luft zu jagen bereit ist. Sie erfor­dert die präzise Arbeits­weise eines Spreng­meis­ters. Anders als in längerer Prosa, die in die Breite gehen und so Atmo­sphäre entwi­ckeln darf, muss in der Kürzest­prosa jeder Satz die Geschichte effektiv voran- und über sich hinaus­treiben. Diese Kompri­miert­heit macht für mich den Punch, die Spreng­kraft der Kürzest­prosa aus – zumin­dest gilt das für meine Minu­ten­no­vellen. Gewiss ist auch ganz anderes denkbar, aqua­rell­hafte Kurz­pro­sa­skizzen etwa.

BÖS: Ihre Erzähl­de­stil­late sind unter dem Titel “Gummi­bär­chen­kam­pagne” erschienen. Was faszi­niert Sie an Gummibärchen?

Helwig Brunner:  Gummi­bär­chen sind bunt (jede Minu­ten­no­velle ist anders) und vermit­teln eine gewisse Heiter­keit (Humor ist ein essen­zi­elles Stil­mittel), einen nasch­haften Zugang zu Welt (die Texte eröffnen immer wieder über­ra­schende Geschmacks­rich­tungen). Zusammen mit dem Wort “Kampagne” klingt auch das poli­ti­sche Farben­spek­trum an, außerdem viel­leicht die Elas­ti­zität, mit der sich Poli­ti­ke­rInnen oft aus der Affäre ziehen (siehe die Formu­lie­rung “meinungs­elas­tisch durch die Krise” in der titel­ge­benden Minu­ten­no­velle). Auch der Wieder­erken­nungs­wert des Buch­ti­tels “Gummi­bär­chen­kam­pagne” ist wohl ziem­lich hoch, das ist auch kein Nachteil.

BÖS: Beim Lite­ra­tur­salon werden Sie ja auch Gedichte vortragen. Welches Gedicht können Sie auswendig?

Helwig Brunner:  Ich kann genau ein Gedicht von Jan Skácel auswendig:

alles schmerzt sich einmal durch bis auf den eignen grund / und die angst vergeht / schön die scheune die nach längst vergangnen ernten / leer am wegrand steht”

Meine eigenen Gedichte kann ich niemals auswendig wieder­geben, ich habe sie in den Adern und im Atem, sie sind gelebte Möglich­keiten und mögli­ches Leben, Viel­spra­chig­keit im post­mo­dernen Sinn, keine kris­tal­linen Endergeb­nisse wie in jungen Jahren, als ich noch der Moderne verhaftet war. Sie sind auch jeder­zeit wieder Arbeits­ma­te­rial, niemals unum­stöß­lich. Sie auswendig zu können, käme einer Über­hö­hung gleich, die mir fremd (geworden) ist.

 

Der Lite­ra­tur­salon mit Helwig Brunner, Claudia Bitter und Stefan Schmitzer findet online am 12. Juni 2021 statt. Es mode­riert Brigitta Höpler.