Wichtig ist, dass der Faden nicht reißt
Ein Interview mit Britta Mühlbauer
Einen Erzähltext zu finalisieren, ist alles andere als einfach. Welche Fallen, aber auch Tricks es gibt, erzählt Britta Mühlbauer
BÖS: Worin liegt das größte Problem vieler AutorInnen, wenn ein Erzähltext “fertig” ist?
Britta Mühlbauer: Gleich nach dem Fertigwerden fehlt der Abstand zum Text. Man ist „betriebsblind“. Man hat kein Gefühl dafür, was gelungen ist und was nicht. Deshalb ist es am besten, den Text ein paar Wochen „abkühlen“ zu lassen. Auch ein Feedback von TestleserInnen kann helfen. Das zweite große Problem ist der Überblick. Je länger ein Text ist, desto ratloser ist man zunächst, wo und wie man mit der Überarbeitung beginnen soll. Ich kehre gern zur ersten Idee zurück und lese mir danach die Loglines und Kurzexposés durch, die sich in unterschiedlichen Stadien der Entstehung angesammelt haben. Dann vergegenwärtige ich mir die große Struktur (Plot und Figurenentwicklung). Wer schon vor oder währen des Schreibens einen Plot ausgearbeitet hat, kann überprüfen, wie weit das, was er/sie sich vorgenommen hat, funktioniert, bzw. ob der Plot noch nachgeschärft werden sollte. Danach kommt alles andere dran: Szenen, Erzählstimme, Dialoge, Beschreibungen etc. Und am Ende geht es um Erzähllogik, stilistische Fragen, usw.
BÖS: Warum ist es wichtig, weiter an der Rohfassung zu arbeiten?
Britta Mühlbauer: Es gibt AutorInnen, die behaupten, sie würden druckreif schreiben. Ich wage zu bezweifeln, dass das geht. Wie stark die Rohfassung überarbeitet werden muss, hängt davon ab, ob man sie in einem Zug durchgeschrieben hat, ohne Rücksicht auf Veränderungen, die sich im Lauf des Schreibens ergeben, oder ob man während des ersten Entwurfs bereits überarbeitet hat, zum Beispiel wenn sich die Erzählperspektive geändert hat, die Hauptfigur einen anderen Namen bekam, eine neue Nebenfigur auftaucht oder man die Geschichte doch lieber auf Alpha Centauri statt auf dem Mars ansiedelt 😉 Sehr häufig müssen bei der Überarbeitung Teile ganz neu geschrieben werden, das ist normal. Andere muss man kürzen (eigentlich fast alle) oder streichen, manches ergänzen, Szenen umstellen etc. Profis überarbeiten ihre Texte mehrmals. Ich arbeite nach dem Triage-Prinzip: die großen Brocken, also die Abschnitte, die neu oder stark umgeschrieben werden müssen, kommen zuerst dran. Erst wenn der Text im Großen stimmt, nehme ich mir die „Kleinigkeiten“ vor: sprachliche Ungenauigkeiten, Denkfehler, stilistische Fragen. Man kann es mit dem Überarbeiten natürlich auch übertreiben. Irgendwann muss es genug sein. Im Grunde sind Texte nie fertig. Viele AutorInnen sagen, sie würden auch Texte, die schon vor Jahren veröffentlicht wurden, am liebsten noch einmal überarbeiten. Ich verlasse mich auf meinen Überdruss. Er ist ein guter Indikator dafür, dass ein Text zu Ende überarbeitet ist, und im Moment nicht mehr geht. Und dann sind TestleserInnen und LektorIn am Zug.
BÖS: Wie kann man sich selbst austricksen, um einen Text zu finalisieren?
Britta Mühlbauer: Einen Roman muss man erst mal durchhalten. Das braucht ein Zeitmanagement, das es ermöglicht, regelmäßig zu schreiben, egal wie oft, egal wie lang. Wichtig ist, dass der Faden nicht reißt. Um sich dann tatsächlich regelmäßig an den Schreibtisch zu setzen (oder wo auch immer man arbeitet), muss man sich selbst motivieren. Dafür gibt es unzählige Tipps, Methoden, Ratgeber, Anleitungen. Ich stoße ständig auf Neues. Dabei finde ich die Dinge am hilfreichsten, die am wenigsten Aufwand erfordern. Am besten, man probiert verschiedenes aus. Ich bin ein Gewohnheitstier. Ich habe meine festen Schreibzeiten – falls nichts dazwischen kommt 😉 Entscheidend finde ich, dass man sich mit den eigenen Selbstzweifeln, dem viel beschworenen „Inneren Kritiker“ auseinandersetzt. Das hilft auf jeden Fall.
Britta Mühlbauer leitet den vierteiligen Online-Workshop “Weiter schreiben, fertig schreiben”, der am 26. Februar beginnt.
Foto: Ela Angerer