Wider den Stillstand

Ein Inter­view mit Schreib­päd­agogin Gudrun Kapeller

Dass Sprache für alle da ist, durfte Gudrun Kapeller in ihrer tägli­chen Arbeit als Lehrerin erfahren, bei der sie Impulse aus dem Lehr­gang „Schreib­päda­gogik“ einge­bracht hat.

BÖS: Warum hast du den Lehr­gang Schreib­päda­gogik absolviert?

Gudrun Kapeller: In erster Linie, weil ich Still­stand in meiner eigenen Hori­zont­er­wei­te­rung nur schlecht ertrage. Ich bilde mich gerne fort, erfahre gerne Neues, tauche gerne in eine Materie ein, die meinen Inter­essen entspricht und vorhan­denes Wissen idea­ler­weise noch weiter vertieft. Natür­lich hatte ich als Lehrerin auch den Nutzen für meine Unter­richts­tä­tig­keit im Hinter­kopf – gerade, weil Schreiben und der Umgang mit Sprache immer schwie­riger zu vermit­teln wird. Viele Schüler:innen haben Probleme damit, einen unbe­fan­genen Zugang zum Schreiben und zum Spiel mit Sprache zu finden, sie kennen oft nur den starren Umgang mit Text­sorten und den Frust, irgendein Krite­rium irgend­einer Text­sorte nicht erfüllt – und somit schwache Leis­tungen erzielt – zu haben. Meine Hoff­nung war, durch die Erwei­te­rung meines Reper­toires an krea­tiven Schreib­an­lässen und durch konstruk­tive Arten von Rück­mel­dung, meinen Schüler:innen (und auch mir) etwas mehr zwang­loses Schreiben mit Freude zu ermöglichen.

BÖS: Kannst du dich an einen Moment erin­nern, als dir klar wurde, dass du davon tatsäch­lich viel in deine Arbeit inte­grieren kannst?

Gudrun Kapeller: Konkrete Momente zu nennen, ist hier schwierig. In fast jedem Modul bezie­hungs­weise Work­shop gab es irgend­wann dieses Gefühl von „Das will ich auspro­bieren“ oder „Stimmt, das hast du schon lange nicht mehr gemacht“. Manchmal hat mir die Praxis im Unter­richt dann gezeigt, dass Impulse, die ich selbst im Lehr­gang mit Feuer­eifer umge­setzt hatte, bei den Schüler:innen weniger gut ankamen, dafür welche, die mir beim eigenen Schreiben etwas Kopf­zer­bre­chen berei­teten, moti­viert und begeis­tert bear­beitet wurden. Das spie­gelt meiner Meinung nach genau jene Tatsache wider, die so charak­te­ris­tisch dafür ist: Jede/r schreibt anders, jede/r braucht andere Impulse. Aber das Schöne ist, dass am Ende meis­tens trotzdem nette „Produkte“ entstanden sind. „Klick“ hat es oft dann in der prak­ti­schen Umset­zung gemacht. Ich erin­nere mich an einen sehr leis­tungs­schwa­chen Schüler, 14 Jahre alt, frus­triert durch Lock­down, Schicht­be­trieb und Home­schoo­ling, den Kopf voll puber­tie­render Hormone, … Sein „Cut up“ (Impuls aus dem Work­shop „Schreiben mit Jugend­li­chen“) beinhal­tete nur wenige Worte, aber dass gerade dieser Schüler diesen Impuls so ergrei­fend umge­setzt hatte, das war defi­nitiv ein „Klick“ im Sinne von „Ja, Schreiben kann jeder! Sprache ist für alle da!“

BÖS: Wie hat sich durch die Erkennt­nisse aus der Schreib­päda­gogik dein Alltag verän­dert und welche Auswir­kungen haben sich gezeigt?

Gudrun Kapeller: Mein eigenes Schreiben hat sich durch den Lehr­gang um den Bereich der Lyrik erwei­tert. Ich habe immer gerne Texte geschrieben. Lange Texte. Mit Schach­tel­sätzen. Lyrik war für mich nicht so greifbar, ich fühlte mich nicht so wohl damit. Der Lehr­gang hat mir diese Facette des Schrei­bens näher­ge­bracht. Ich ertappe mich bei Spazier­gängen manchmal dabei, in Lyrik zu denken, Beob­ach­tungen oder Sinnes­ein­drücke in meinen Gedanken in kurze Gedichten zu verpa­cken. Ich kann mich nicht erin­nern, dass dieser „Kanal“ meiner Wahr­neh­mung vor dem Lehr­gang so empfangs­be­reit gewesen ist. Es fällt mir dadurch jedoch etwas schwerer, mich meinen schach­tel­sät­zigen Lang­texten zu widmen, aber hey, da gibt es doch den Work­shop „Weiter schreiben, fertig schreiben“… 😊

 

Gudrun Kapeller ist Schreib­päda­gogik-Absol­ventin des Jahr­gangs 2020/2021.