Adventkalender 2
Texte von Christa Neumayer und Tobias March
Christa Neumayer
3. Dezember: Schreib einen entrüsteten Leserbrief an den „Falter“, warum das Weihnachtsfest verboten gehört
Wertes Falterteam, werter Kolumnenschreiber,
muss das sein? Ein doppelseitiges Plädoyer für die Öffnung des Handels und anderer
Lokalitäten am Sonntag, den 25.12.?? Echt, jetzt!
Wie soll da Zeit bleiben, mich um Familie, Weihnachtsgans, Christbaumkugelbasteln,
Liedersingen, etc. etc. zu kümmern? Vom Wohnungsputz gar nicht zu reden. Worauf ich
mich das ganze restliche Jahr über freue, ich bin doch eine Kümmerin! Ich soll nun
ausgerechnet am 25.12., dem Christtag!, die Heiligen Hallen der allübermächtigen,
systemrelevanten Konsumtempel meiner Wahl aufsuchen?
Und ja, ich verstehe Ihr Geschreibsel sehr wohl als Imperativ. Es ist nicht zu fassen! Ich
verorte mich gesellschaftspolitisch als handfester Bobo (wie wäre hier regelkonform zu
gendern?) links bis rechts der Mitte. Und Sie wissen genau, dass nicht bloß solche wie ich
sondern auch gut‑, besser- und bildungsbürgerliche MittelständlerInnen Ihr Blatt lesen und
sich sofort auf den Konsumpfad begeben werden. Somit haben Sie die Jagd nach den besten
lastchristmasverdächtigen Schnäppchen bereits drei Wochen vor dem Fest eröffnet. Keiner
und keine wird nach Lektüre Ihres Artikels hinter dem (heuer eher geringer, dafür
holzbefeuerten) Ofen sitzen bleiben. Alle wollen wir beitragen zum Wachstum, ohne das es
(wir wissen es genau, Dank der medialen Belehrungs- und Überzeugungsversuche, an denen
Sie sich offensichtlich nun auch beteiligen), nicht geht.
Unsere Regierung wird wohl Ihre Empfehlungen – und nur als solche ist Ihre Kolumne zu
lesen – nicht bloß aufgreifen und überdenken (tatsächlich?), sondern auch umsetzen. Nein,
uns kleinen Leuten bleibt wirklich nichts erspart. Wie kommen Sie nur auf solche Ideen??
Hiermit kündige ich mein Abo per sofort und mit aufgeklärtem Nachdruck mit der
Begründung, dass ich in der Weihnachtszeit ohnehin keine Zeit zur Lektüre finden werde.
Auf der Einkaufsmeile der Mahü oder des SCO (Shopping Center Ost) fühle ich mich besser
bedient als von Ihren (wohl auch noch gut gemeinten – gut für wen oder was eigentlich?)
Animationen zum Geldausgeben. Ich denke, Sie haben gedacht (falls Sie vor dem Schreiben
überhaupt gedacht haben!), ich kann nicht zwischen den Zeilen lesen und verstehe daher Ihre
hinterfotzige Anstiftung zum kollektiven Kaufrausch (am besten mittels Kartenschwung)
nicht. Aber da haben Sie sich getäuscht, eventuell kann ich besser lesen und reflektieren als
Sie, werter Flatter-Schreiberling.
Allerdings, wie oben nachzulesen, Ihr Blatt lese ich zukünftig nicht mehr. Das dadurch
ersparte Monetäre landet in einer der Maronistandlkassen des lichtergeschmückten und Jingle
Bells beschallten Rathausplatzes. Exakt am 25. Dezember.
Ihr Geschwafel von wegen Sonntagsöffnungszeiten, damit das (sogenannte) Volk entspannter
weihnachtseinkaufen kann, zieht bei mir (eigentlich) nicht. Aber gut, heuer, dieses eine Mal,
gehe ich halt einkaufen. Mitten unter Weihnachtsmännern und ‑frauen will ich mich tummeln
und hemmungslos dem Rausch verfallen. Wirklich nur dieses eine Mal; und ich werde
folgsam das durch die Abokündigung Ersparte, wie in Ihrem Blatt so eindringlich angeregt,
dem Handel und der Gastronomie zugutekommen lassen.
Für wen brauche ich noch unbedingt ein von Herzen kommendes Weihnachtsgeschenk?
Ach ja, meine Chefin mit Begleitung beehrt uns heuer erst am 26.12., das geht sich aus, das
ist Montag, und alle Geschäfte bleiben zu, ist ja Festtag, zweiter in der feierlichen
Weihnachtsabfolge. Oder meinen Sie gar, am Stephanitag sollten Geschäfte auch offenhalten?
Aber bitte, im Sinne aller anderen Leser und Leserinnen (mich betrifft es ja nicht mehr, wie
gesagt, ich kündige!): unterlassen Sie diese plumpen, absolut durchschaubaren Versuche
linkstendenziöser Einflussnahme. Das ist nicht Ihre Aufgabe als Werkzeug für
Berichterstattung und Meinungsbildung. Was eigentlich ist Ihr Auftrag??Und dann noch diese goldbebänderten Bilder von Weihnachtspäckchen unterm Tannenbaum
(eh kaum mehr grün!) auf dem Cover Ihrer Ausgabe vom 03.12. Geht’s noch kitschiger? Das
liest sich grauslicher als so mancher Text auf rosa großformatigem Papier!
Und überhaupt erlaube ich mir, Ihnen einen Vorschlag zu unterbereiten, der alle rund um
dieses tausend- und längerjährig währende Brimborium auftauchenden Fragen, Probleme und
Diskussionen ein für alle Mal beenden bzw. lösen wird. Empfehlen Sie in Ihrer nächsten
Kolumne unserer geschätzten Regierung sowie allen politisch Verantwortlichen (was heißt
Verantwortung in diesem Kontext eigentlich?), in Absprache natürlich mit Nikolaus,
Christkind, allen Engeln und sonstigen InfluencerInnen wie Santa Claus und Onkel Rudolf,
dem österreichischen, europäischen und globalen Handel, den SozialpartnerInnen etc. etc.….,
dieses unsäglich Zeit und andere Ressourcen verschlingende, sozial total unverträgliche Fest
ab 2023 zu verbieten.
Geht doch ganz einfach in Österreich. Damit endlich Schluss ist mit Lustig und Feierlich und
Besinnlich.
Mit aufrichtig glühweinseligen Grüßen an die Redaktion,
Ihre besorgte, mit(tig)denkende und kümmervolle Bürgerin .…
Tobias March
8. Dezember: Schreibe aus der Sicht eines neugeborenen Rehkitzes, das im Dezember auf die Welt kommt. Was sieht es im Wald?
Dieses Gedicht ist im Zuge des Schreibimpulses entstanden: *Großevent*
Ohne Rast und ohne Ruh, hetzen wir dem Weihnachtseinkauf zu.
Das Schönste wäre ganz bestimmt, wenn man einen Termin für Punsch mit der Freundin find.
Was zeigt meine Liebe für dich? Neues Parfüm, ein Gutschein, ein neuer Schuh?
Man freut sich auf den einzig freien Abend vor Weihnachten, da erkrankt das Kind.
Wie nur Weihnachten feiern, wenn gar nicht eingestimmt?
Kein Schneemann ist möglich und auch kein Schneeengel -
Wenn keine Schneeflocken fallen, wenn draußen gar kein Kind.
Zum Messepark hasten, man erlebt das größte Gedrängel.
Doch
Da, zwischen Bäumen ein Rehkitz, im tiefen Wald geboren
Sich warm an die Mutter schmiegend, mit klitzekleinen Ohren.
Die ersten Schritte, zögerlich durch das kalte Nass wagen.
Es sieht die Welt nur unschuldig und weiß – Advent, wir müssen es nur sagen.
10. Dezember: Schreibe über das eine weihnachtliche Dekorationsstück, das jedes Weihnachten dabei ist
Mit großen Augen zog ich das graue, verknitterte Seidenpapier auseinander und starrte auf den goldig glänzenden Weihnachtsstern, den ich immer mehr freilegte. Stückchen und Stückchen wurde seine Strahlkraft größer und ich wurde noch verzauberter. Nie hätte ich mir vorstellen können, dass dieser Dekorationsgegenstand, wie einfach alle anderen Deko-Gegenstände wie Kugeln, Krippenfiguren, Engelshaar und Glöckchen in großen Kisten im Dachboden gelagert werden. Ich dachte immer, dass diese Gegenstände von Gott höchstselbst oder vom Christkind direkt am 24. Dezember in unserem bis dahin verschlossenen Wohnzimmer platziert werden. Als Kind ist das Weihnachtsfest etwas überirdisch Glänzendes, Wunderschönes, Besonderes und man kann sich gar nicht vorstellen, dass all das ja von Mama und Papa mit Schweiß unter den Achseln aufgestellt werden muss, alles geputzt werden muss, herbeigeschafft werden muss. Dass es ein Abwiegen von Dekorationsgeschmäckern ist. Wie viel rote Kugeln und wie viel goldene Kugeln? Welche Äste bekommen eine Kerze? Welches ist die schöne, die präsentierbare Seite des Baumes?
Leise raschelnd zog ich den Weihnachtsstern ganz aus seiner ihn jährlich umgebenden Hülle. Ich stellte mich auf meine Fußspitzen, zog die Spitze des Tannenbaumes mir entgegen und setzte behutsam das Gold auf die Spitze. Krönend strahlte es den ganzen Raum aus. Es war wieder Weihnachten. Ich freute mich auf den besonderen Abend, den wir Menschen selbst eigentlich nur zu einem besonderen machten. Die Geschenke, die Tradition, die Familie, die Religion. All das machte den Abend zu einem, der anders war als die anderen Abende im Kalenderjahr. Die Zeiten änderten sich. Lange war das Erscheinen des dekorierten Baumes mit seinem oben aufsetzenden Weihnachtsstern etwas Magisches. Nun machte ich es selbst, um meine Eltern zu entlasten. Die Zeit läuft ohne Erbarmen, zerfließt einem in den Händen. Doch wenigsten der Schein des Sternes, der blieb. Für eine kurze Zeit.
11. Dezember: Schreib darüber, was die Mutter oder eine Person vorbereiten muss, damit das Weihnachtsessen ein Genuss für alle wird
Helena zog sich schnell die Seidenstrümpfe hoch, als sie Theo die Treppe hochkommen hörte. Sein in das obere Stockwerk kommen deutete ihr an, dass sie nun schnell machen sollte. Die Verwandtschaft kam nämlich immer früher, als sich das Helena vorgestellt hatte. Egal welche Zeit sie in die Einladung schrieb, immer kam eine Person früher, weil sie gerade heute an Weihnachten schneller fertig war, mit umziehen, oder weil nichts Gutes im Fernseher lief usw. Sie kamen dann mit einer Selbstverständlichkeit bei Helenas und Theos Haus an und erwarteten, dass ihnen freundliche Menschen, die den gesamten Abend alle Getränke und Speisen schon vorbereitet hatten, entspannt die Tür öffneten und Zeit hatten, mit ihnen zu sprechen und die Zeit zu überbrücken, bis die eigentlich pünktlichen und dann sogar die unpünktlichen Verwandten eintrudelten.
Helena zog und zerrte an den Strümpfen, die an ihren Beinen zu kleben schienen. Sie hasste es. Immer musste sie deutlich früher als alle anderen mit Outfit und Essen fertig sein. Es reichte ja nicht, wenn man als Frau gut aussah. Oder dem Alter entsprechend. An Weihnachten sollte jede Frau wie ein Engel aussehen. Und jedes Jahr etwas Neues anhaben. Das wäre das Mindeste. Man kann ja als Frau nicht immer dasselbe Kleid tragen.
Helena sputete sich aus dem Schlafzimmer, lächelte schwach Theo an und stürmte in die Küche. Die Bratensoße köchelte schon, und Helena schaltete schnell den Herd aus. Sie würde sonst zu schnell eindicken und verdampfen. Der Braten im Rohr war auch schon in seiner Endphase – Bräunungsgaren versprach der Ofen, das perfekte Programm für den außen knusprig und innen weichen Weihnachtsbraten. Helena vertraute ihren Geräten genauso wie sie darauf vertraute, dass bald eine Person der Verwandtschaft läuten würde.
Plötzlich legte sich eine Hand auf ihre Hüfte, dann eine zweite auf ihre andere Hüfte. Sie spürte heißen, leicht feuchten Atem auf ihrem Nacken und eine zweite Hand bei ihrer zweiten Hüfte. Die Hände umfassten sie nicht nur, sie wanderten auch leicht nach vorne. Nur zwei Zentimeter, dann ruhten die Fingerspitzen auf ihrem Kleid. Doch sie spürte mehr denn je, als ob ihre Haut die wäre, die von den weichen Fingerkuppen berührt werden würde.
Ein leichtes Kribbeln breitete sich im Gleichklang mit Wärme aus. Ein katzenartiges Schnurren, anders kann es nicht beschrieben werden, wollte sich in ihrer Kehle breitmachen, doch Helena schluckte es sogleich herunter. Die Karotten müssen noch gemacht werden und hast du die Weinflaschen schon aus dem Keller heraufgeholt. Mit einem leichten Stoß lässt sie Theo hinter sich und rauscht zum Kühlschrank. Die Karotten werden gewaschen, mit präzisen Messerhieben werden die oberen 2 mm und die unteren 2 mm des Wurzelgemüses abgetrennt. Theo läuft langsam rückwärts. Die Türklinke in der Hand. Du siehst heute wirklich sehr gut aus. Helena lächelt innerlich. Hauchzarte durchscheinend orange Karottenschalen fallen auf das Schneidebrett. Helena sieht ihnen nach, ihre filigrane Zartheit. Es klingelt an der Tür.
Die Texte sind anhand von Schreibimpulsen unseres Facebook-Adventkalenders entstanden.