Adventkalender
Ein Text von Christa Neumayer
Nikolaus auf Kurzarbeit
Regen draußen bei ungefähr zwei Grad Celsius, immerhin über Null. Das ist grausam im Außendienst, damit musste ich leben lernen. Wie mit so vielen anderen Ungemächlichkeiten, mit unmöglich Scheinbarem und doch so real im Raum stehenden Gegebenheiten.
Ich, Nikoläusiane, bin 35 und lebe alleinerziehend mit meinem knapp fünfjährigen Kind. Marlene freut sich auf den Nikolaustag, auf den Besuch des Rauschebartmannes im Kindergarten. Falls dies der Fall sein wird. Bis dato weiß das keiner und schon gar keine der elementarpädagogisch betreuenden Menschen dort genau. Immerhin blieb der Kindergarten bislang offen, doch es gilt die Devise: Schicken Sie Ihre Kleinen nur dann hin, wenn es nicht anders möglich ist. Wenigstens empfiehlt keiner der Protagonisten – und es sind zumeist Männer – mehr, die Kinder keinesfalls in Obhut der Großeltern zu geben. Das war vor circa eineinhalb Jahren im ersten Lockdown so. Nicht allzu gut bewältigbar für arbeitende Leute. Unsereine findet sich ohnehin jeden Frühling in Nullarbeit wieder – so konnte ich Marlene in meiner arbeitslosen Zeit gut selbst betreuen, als die Kindergärten geschlossen waren.
Nun also – im Lockdown Nummer fünf (in Ostösterreich, wo ich vorrangig eingesetzt werde) – arbeite ich kurz, kürzer. Kurzweilig hat sich der namensspendende Ex-Verantwortliche, welcher diese Verordnung erlassen hat beziehungsweise zumindest an deren Entstehung mitbeteiligt war, ebenfalls aus dem politisch-aktiven Leben kürzlich zurückgezogen. Er ist wie ich 35, aber männlich, daher gestaltet sich für ihn einiges möglicherweise anders. Kurz-Arbeit also für mich, eine Nikoläusin vom Dienst. Wenn ich kürzer Säcke befülle, ordne, verteile und zustelle, bleibt mehr Zeit für Marlenebetreuung. Wenn ich selbst mein Kind zu Hause kurz betreue, bleibt meiner Mutter mehr Freizeit. Das wird sie schätzen. Ich entlaste zugleich das Kindergartenpersonal, verringere die Ansteckungsgefahr für Marlene (und alle anderen Mitglieder der Gesellschaft). Nikoläusinnen denken und handeln gerne und lustbetont sozialverträglich und solidarisch. Trotzdem schicke ich Marlene an meinem Namenstag in den Kindergarten, sie soll an der Nikolausfeier teilnehmen dürfen, damit ihre Sozialkontakte nicht allzu kurz kommen. Da werde ich morgen vormittags kurzfristig wenigstens zwanzig Nikolauspackerl vorbereiten. Am Abend folgt dann mein eigentlicher Einsatz – zwanzig Adressen, zwanzig erwartungsvolle Kinder, 20 mal leuchtende Augenpaare. Mein Chauffeur betreibt ein Einpersonenunternehmen; ob er sich auch Kurzarbeit verordnet hat? Dann erledige ich dieses Mal meinen Job ohne seine Inanspruchnahme.
Ich jedenfalls, ich bin flexibel, hoffentlich denkt mein altes Auto ebenso und der Motor springt trotz Schmuddelwetters an. Nein, die Scheibenwischer sind kaputt! Bleib positiv denkend, vielleicht regnet es morgen abends nicht mehr. Dann kann mein Kurz-Arbeitseinsatz stattfinden und ich mich an meiner Schmalspurentlohnung erfreuen. Ob sich die lang vor mir liegende Monatsstrecke überlebenstechnisch-finanziell mit dem kürzlich beschnittenen Gehalt überwinden lässt? Wann soll ich darüber nachdenken?
Ich parke Marlene vor dem TV-Gerät und lasse mich in die tiefen Weiten des Internets fallen. Was lese ich da? Nikoläuse und ‑Innen zählen in der Adventzeit so quasi zu den SystemerhalterInnen, weil sie unser Brauchtum aufwerten. Wer sich an der Traditionspflege (so nennt man das in konservativen Sphären) beteiligt, darf unter Einhaltung der notwendigen Gesundheitsschutzregeln selbstverständlich weiterhin seiner Arbeit nachgehen. Wie gut, ich darf in meinem saisonalen Vollzeitjob bleiben und das Bruttosozialprodukt pushen. Es gilt aber zu bedenken: Wenn sich zu viele Eltern dafür entscheiden, auf Grund der latent lodernden Angst vor dem Virus heuer auf meinen systemerhaltenden Besuch zu verzichten? Bin ich dann überhaupt Kurzarbeiterin oder schon Nichtarbeiterin? Kurz sehe ich Licht am Ende des Tunnels, es macht Klick: ein Anruf bei meiner Cousine, der Christkindin, könnte der Ausweg sein. Schon lange habe ich nichts mehr von ihr gehört oder gelesen. Sitzt sie auch zu Hause und bestreitet den Lebensunterhalt in Form eines Kurzarbeitszeitverhältnisses? Nein, eher nicht, schließlich ist sie Unternehmerin. Also selbstständiger als so eine wie ich. Obwohl sie (kurzzeit)weise auch vom Aufbrauch ihrer Ressourcen leben muss, kann sie sich momentan vor Aufträgen nicht retten. Sie bedient ebenso wie ich einen brauchtumsbedingt systemerhaltenden Gesellschaftsbereich. Doch ich weiß: Nur kurz dauert die Adventzeit!
Liebe Cousine Christkindin, ich bin stets strebsam, fleißig, folgsam und höflich bemüht, mich und meine kleine Familie über die kurzen und längeren Runden zu bringen. Vielleicht vergibst du ein paar klitzekleine Aufträge an mich? Ich verspreche gehorsam, ich werde flexibel und hurtig alles dieser hektischen Zeit entsprechend zur vollsten Zufriedenheit aller Beteiligten erledigen. Mit kürzestem Zeitaufwand, so wie unsere Paketzusteller das tun. Ich kenne persönlich einen und hole mir stets Ezzes von ihm. Zusteller Nr. 2412 arbeitet nicht kurz, er schultert und erledigt (Leistung soll sich lohnen!) bei gleichbleibender Entlohnung in derselben Zeit die dreifache Arbeitslast. Das ist notwendig in Zeiten wie diesen.
Das schaffe ich auch, locker, wenn es sein muss. Und es muss kurz sein.
Gleich wird mir Marlene auf meine Anfrage hin fröhlich lachend mitteilen, wie wir beide das gemeinsam managen werden. Über kurz oder lang oder doch für immer…
Der Text von Christa Neumayer ist aufgrund des Advent-Schreibimpulses „Schreib über einen Tag im Leben eines Nikolaus auf Kurzarbeit“ entstanden.