Blicke und Schrift aus dem Almtal 4

Ein Text von Peter Bosch

Der Geist des Herrn Simpel

Der Geist des Herrn Simpel wohnte im 1. Stock, Herr Simpel im Erdge­schoss. Der Geist hatte einen Balkon, Herr Simpel nicht. Der Balkon des Geistes war blau gestri­chen und hatte die Form eines großen Gs. Neben dem kleinen Fenster des Herrn Simpels war einen Riesen‑S in Gelb auf die Mauer gemalt. Das aller­dings war das Einzige, was an Herrn Simpel groß war. Sonst hatte er nur ein Ein-Mann-Unter­nehmen für Telekommunikation.

Unter­tags schlüpfte der Geist von Herrn Simpel in den Körper von Herrn Simpel, damit der seine Arbeit verrichten konnte. Am Abend, wenn sich Herr Simpel auf die Couch setzte und den Fern­seher einschal­tete, zog sich der Geist in seinen ersten Stock zurück und begann zu schreiben. Es sollte der ulti­ma­tive Roman werden über die Menschen, das Universum, die Liebe und alles andere. Aber so sehr er sich auch bemühte, er war noch nicht über den ersten Satz hinaus­ge­kommen: „Am Anfang war der Geist.“ Diesen ersten Satz hatte er schon gut hundert Dutzend mal geschrieben. Alles was danach kam, zerflat­terte und wurde unheim­lich kompli­ziert. Dann legte er jedes Mal resi­gniert seine Feder zur Seite und wandte sich seiner Stei­ne­samm­lung zu.

Immer wenn er mit Herrn Simpel etwas instal­lierte oder repa­rierte – und darin, das konnte er ohne falsche Beschei­den­heit zugeben, waren sie richtig gut – fiel den Kunden beglückt ein Stein vom Herzen, den hob der Geist des Herrn Simpel unbe­merkt auf, erstens weil er den Arbeits­platz wieder sauber hinter­lassen wollte, aber auch, weil er faszi­niert war von den unter­schied­li­chen Größen, Formen und Farben der Steine.

Doch eines Abends, als er den weißen Stein einer alten Dame, der sie den Sender­such­lauf ihres Fern­se­hers neu einge­richtet hatten, zu den anderen legen wollten, waren diese plötz­lich verschwunden.

 

Der Text von Peter Bosch ist im Rahmen des Sommer­work­shops „Blick und Schrift im Almtal“ entstanden.

Fotos: Barbara Rieger und Peter Bosch