Boshaft? Neeeiiin! 1
Texte von Susanne Hahnl
SIE
Liebe Besucherin, lieber Besucher!
Sie freut sich sehr über Ihren Besuch.
Wenn Sie ein paar Vorsichtsmaßnahmen berücksichtigen, wird es auch für Sie eine erfreuliche Begegnung werden. Danke, dass Sie sich alles im Vorhinein durchlesen und mit Bedacht Ihre Vorkehrungen treffen. Sie müssen nicht alle Punkte 100%ig erfüllen. Aber den größten Teil sollten Sie schon. 95% wären gut, ganz zu schweigen von 97 oder gar 99%.
Bitte rufen Sie sie an, sobald es Ihnen in den Sinn kommt, sie besuchen zu wollen.
Besser ist aber, Sie schreiben ihr. Es muss kein Brief sein, sie schaut auch regelmäßig ihre E‑Mails an. Ankündigungen über WhatsApp, Telegram oder Signal schätzt sie gar nicht. Zu informell, zu leichtfertig hingeschrieben, schon beim Öffnen der Nachricht droht die Absage.
Sollten sie dann einen gemeinsamen Termin gefunden haben, was Sie natürlich auch telefonisch bestätigt haben werden und in Kenntnis ihrer genauen Adresse, inklusive dem Wissen, dass sie im 3. Stock ohne Lift wohnt, besprechen sie, bei welchem Tor der Wohnhausanlage Sie die Gegensprechanlage vorfinden, die auch mit der Wohnung – seit einigen Tagen funktionierend – verbunden ist, wo Sie auch ihren Namen neben dem zu drückenden Knopf vorfinden und anläuten können.
Mit Sicherheit wird sie Ihnen das Tor öffnen und, wenn Sie den Weg durch den Hof gefunden haben werden, auch das nächste Tor, das ebenfalls elektronisch zu öffnen ist. Aber bitte seien Sie pünktlich. Nicht überpünktlich. Sie wissen, dass es äußerst unhöflich ist, wenn Sie zu früh kommen. Sie könnte ja mit den Vorbereitungen für Ihren Besuch noch nicht fertig sein und in welche peinliche Situation könnten Sie sie bringen, falls das so wäre.
Hätten Sie nun also den 3. Stock erreicht, sie hat Sie bereits gehört, Ihr Schnaufen, Sie werden durch den Spion gesehen, gibt es mehrere Möglichkeiten:
Sie macht Ihnen die Wohnungstüre auf, bevor Sie sich fragen, wo die Klingel ist und wie Sie sie dazu bringen könnten, aufzumachen. Oder sie lässt Sie warten und rätseln – es gibt nämlich keine Klingel, aber ein Namensschild.
Erstere Reaktion ist zu erwarten, wenn sie sich ganz gut kennen. Dann würden sie sich aber eher nicht siezen und der Ablauf der Besuchsanordnung hätte nicht besprochen werden müssen. Alles wäre klar, denn Sie hätten dem Prozedere bereits irgendwann zugestimmt.
Wenn es Ihr erstes Mal ist, müssen Sie die Initiative ergreifen. Sie können klopfen, besser mit der Faust gegen die Türe schlagen, die Sicherheitstüren verlangen das, da braucht es schon Kraft. Sie wird hinter der Türe etwas rufen: „Sofort!“ oder „Ich komme schon!“ oder Ähnliches damit Sie wissen, dass Sie gehört worden sind, und die Türe öffnen.
Möchten Sie die Anleitung auch per Mail zugesendet bekommen?
Bitte um Ihre baldige Rückmeldung.
Mit sehr freundlichen Grüßen
S.
Dramolett
Personen:
Au: Leiter der Organisation Weh zur Betreuung betreuungswerter Personen
Pa: Vater von A
Ma: Mutter von A
A: Sohn von Pa
A: Tochter von Ma
Au: Wer sind Sie?
Pa: Ich bin der Papa von A.
Ma: Ich bin die Mama von A.
Au: Aha, Sie sind also die Eltern.
Pa: Ich bin der Papa von A.
Ma:Ich bin die Mama von A.
Au leicht verärgert: Ich habe verstanden! Sie sind Papa und Mama von A.
Pa: Mein Sohn sitzt dort links.
Ma: Meine Tochter sitzt dort rechts.
Au: So geht das nicht. Es kann keine 2 A’s geben. Nennen Sie Ihre Kinder um. Gach jetzt.
Pa: Dann heißt mein Sohn Au.
Ma: Das wollte ich auch gerade vorschlagen.
Au: Au heiße ich. Kommt ja gar nicht in Frage. Um das jetzt abzukürzen: Der Sohn bleibt A, die Tochter B.
Ma: Bitteschön, das ist unfair. Wieso soll sie ihren Namen ändern und der Bub darf seinen behalten?
Au: Jetzt geht das wieder los. Dann drehen Sie es halt um. Bub = B. Mädl = A.
Pa: P? So wie ich?
Ma: Nein B, nicht P.
Au: Schluss mit der Diskussion! Wir sind ja heute hier um zu entscheiden, welches ihrer Kinder in Weh betreut werden soll. Sagen Sie jetzt, was hat ihr Sohn?
Pa: Mein Sohn ist ein sehr intelligentes Kind, aber im Sozialen ….
Au: Keine Lebensgeschichte, die Diagnose!
Pa: Asperger.
Au: Endlich eine klare Aussage. Und ihre Tochter?
Ma: Meine Tochter ist ein sehr liebes Mädchen, aber es gibt so Phasen …
Au: Diagnose!
Ma: Bipolare Stö…
Au: Stopp. Das reicht. Moment.
Au wählt eine Nummer: Servas Luki, wie geht’s? Was macht die Familie? …. Gesprächsfetzen. Nach etwa 7 Minuten … Sehr gut. Ahso. Wir ham heute Asperger gegen Bipolar. Beide gleich alt. Was müssen’s tun? Aha! Gute Idee. Super. Endlich a neue Challenge. Bussi. Danke. I meld mi.
Au: Wie Sie wissen, können wir nicht jeden, pardon jede, aufnehmen, die Leute müssen schon was mitbringen. Also Ma, wollen Sie anfangen? Was kann Ihre Tochter, was uns was bringt?
Ma stammelt: Sie ist sehr lustig … manchmal … sie nimmt ihre Medikamente regelmäßig … meistens … sie braucht Hilfe … oft …
Au: Und der Herr Sohn?
Pa forsch: Er kann gut mit Computern. Er ist immer pünktlich. Er kann gut allein sein …
Au: Auweh. Das ist jetzt ein Punkt fürs Mädl.
Ma, Pa schauen Au fragend an.
Au: Na sie braucht uns und er nicht. Aber Sie haben recht, es gibt noch eine zweite Chance. PC ist gut für uns, da sind wir nicht so fit. Und die Tochter, was haben wir von ihr?
Ma: Sie geht ins Gymnasium, sie kann ein bisschen kochen, sie singt sehr gerne, also wenn sie in der manischen Phase ist …
Pa unterbricht: Aber mein Bub kann sich alle Zahlen merken und er braucht nicht viel, Süßigkeiten reichen. Bitte, er kann nicht zu Hause leben, wir haben noch andere Kinder. Das ist total stressig. Wenn es nicht so läuft, wie er will, dann …
Au: Pscht. Sie reden sich um Kopf und Kragen. Also ihn. Ich muss da jetzt entscheiden und was liegt, das pickt dann. Also fassen wir zusammen. Mädchen … redet vor sich her, scheint abzuwägen … bis – endlich – das Telefon wieder läutet.
Au: Luki, gut dass du anrufst, ich hab da ein Problem (flüstert ins Telefon) … hmm (lauter) gute Idee, sehr gut! Danke. Bussi
Au: Wir sind jetzt fast durch. Du Aspi und du Bipoli, kommt’s mal her. Wir machen da heute ganz was Neues. Stein, Papier, Schere. Kennt’s ihr das? Sehr gut. Also los!
Die Texte von Susanne Hahnl sind im Schreibworkshop „Der boshafte Blick. Ironie – Parodie – Satire“ bei Britta Mühlbauer entstanden.