Das Kind in uns 2

Ein Text von Sandra Priesner

Pfoten-Leer-Lauf

Leo Langsam steht heute früh auf. Er muss mächtig gähnen, bevor er seine Vorder­pfoten ausstreckt. Dann macht er einen straffen Buckel und schließ­lich werden die Hinter­beine lang­ge­zogen.
Seine feine Nase folgt dem Duft des Futter­napfes. Ein Schäl­chen Milch hat ihm Frau Bauer Acker­mann auch hinge­stellt, als Nach­speise.
Noch eine ausgie­bige Pfoten­wä­sche und dann geht’s auch schon auf die morgend­liche Erkun­dungs­tour.
Leo Langsam hat es nie eilig. Lieber spaziert er in seinem Revier herum, unter­hält sich mit den Hennen, beob­achtet Schne­cken oder lauert den Vögeln auf.
Seinen Rund­gang schließt er stets auf der großen Stein­mauer ab, die Bauer Acker­mann einst gebaut hat. Leo Langsam liebt es, darauf entlang zu schlei­chen und seinen Schwanz als Balan­cier­stange zu nutzen. Nur nicht hetzen, immer gemüt­lich, ist seine Devise.
Wie jeden Morgen stürmt auch heute wieder der Nach­bars­hund aufge­regt heran und versucht, Leo Langsam zu vertreiben. Doch dieser trottet wie immer träge weiter, streckt dem Kläffer frech seine Schnurr­haare entgegen und lässt ihn nicht aus den Augen.
Wie er so dahin spaziert, über­sieht er ein großes Loch in der Mauer, das gestern noch nicht da war. Leo Langsam tritt ins Leere, purzelt in die Tiefe und landet auf den Pfoten im Gras.
Nun verschlägt es dem Hund das Bellen. Damit hat keiner gerechnet.
Über­rascht starren die beiden auf das Loch. Bauer Acker­mann hat offenbar gestern Arbeiten an der Wand begonnen.
Schließ­lich wenden sich Leo Langsam und der Nach­bars­hund einander zu und sehen sich in die Augen.
Was nun?

 

Der Text von Sandra Priesner ist im Schreib­work­shop „Schreiben für Kinder/Schreiben mit Kindern“ bei Susa Hämmerle entstanden.