Das Kind in uns 4

Texte von Lisa Niederberger

Nacht­wächter

Und da ist es auch schon wieder dunkel. Hast du dich schon einmal gefragt, was der Mond eigent­lich tut, wenn er da jede Nacht den Himmel entlang spaziert? Ist dem nicht fad, da oben, ganz allein? Nein. Denn der Mond beob­achtet gerne. Am liebsten Tiere. Der Mond schaut der Katze zu, auf ihrer Runde durch Vorgärten und über Dächer. Der Eule, wie sie ihr Schlupf­loch in einer hohlen Linde verlässt, um auf die Jagd zu gehen. Der Mond sieht Nacht­falter und Motten um hell erleuch­tete Stra­ßen­la­ternen kreisen. Und Fleder­mäuse in großen Schwärmen aus der Luke oben im Kirch­turm fliegen. Zufrieden ist der Mond, denn alles ist so, wie es sein soll. Die Menschen im Bett, die Tiere munter.

 

Launi­sche

Igel
sehen
alles,
von
Igeln
Kommt
Total
Oage
Revo­lu­tion
Ins
Abend­pro­gramm

(Ein Akro­sti­chon aus meinem Vornamen)

 

Künstler*innenwg

(Elfchen)
Gerä­dert
Das Gäste­sofa
Federn aus Metall
Ich will nur noch
Rücken­yoga 

 

Beutezug

Das hätte Alina sich auch nicht gedacht. Dass sie wirk­lich einmal über ein Dach klet­tert. Wie im Film über Dach­firste drüber und an Rauch­fängen vorbei balan­ciert. Der Taube hinterher. Der weißen Taube mit den leuch­tend terra­cot­ta­far­benen Schwanz­fe­dern. Wie die Federn leuchten, wie flüs­siges Kupfer. Alina muss eine solche Feder haben, sie wäre das Glanz­stück ihrer Samm­lung. Alina weiß: die schönsten, längsten Federn verlieren Tauben nahe ihren Nestern. Wenn sie ihr Revier vertei­digen müssen. Die Kupfer­weiße hatte heute bei ihrem tägli­chen Zwischen­stopp auf Alinas Balkon ein Stück Kabel­binder im Schnabel. Nest­ma­te­rial, eindeutig. Einen Blick­kon­takt hat es sogar gegeben. Das Tier, am Rande des Petu­ni­en­topfes sitzend, der Mensch hinter dem Küchen­fenster, Kaffee­tasse in der Hand. Wie das Gefieder geglänzt hat: eine frisch­ge­prägte Kupfer­münze im Schnee. Und golden die Augen der Taube. Dann hat unten jemand krachend eine Autotür zuge­haut, weg war die Taube. Alina hinten nach. Traut sich nun aufs Flach­dach des Neben­ge­bäudes springen. Nicht nach unten sehen, alles wird gut, denkt sie und befiehlt sich selber: „An die Feder denken.“ Sie hört Tauben aufge­bracht gurren und sieht nahe einer Dach­rinne eine kleine weiße Feder wie in Zeit­lupe zu Boden schweben. Der Revier-Kampf hat bereits begonnen. Alinas Beute ist nah.

 

Die Texte von Lisa Nieder­berger sind im Work­shop „Schreiben mit und für Kinder“ bei Susa Hämmerle entstanden.