Das Kind in uns 5

Zwei Texte von Gabriela Fink

Elena und die Thunfisch-Sucht

Mein Herr­chen sitzt wie immer an seinem Schreib­tisch. Er schreibt an seinem neuen Buch, ich glaube es geht um Katzen. Die Inter­net­seiten, die er neuer­dings öffnet, sind voll von den verschie­densten Katzen­rassen. Eh süß alle, aber natür­lich ist keine so schön wie ich.
Ich bin Elena, die Haus­katze. Ich bin keine gewöhn­liche Katze, ich habe so meine Ansprüche. Ich schlafe nur auf Samt­kissen, mein Frau­chen bürstet täglich mein Haar, bis es glänzt, mein Katzenklo ist mit Duft­säck­chen geschmückt, sodass es ange­nehm nach Lavendel riecht und meinen Thun­fisch nehme ich nur im Porzel­lan­schäl­chen. Ich liebe Thun­fisch. Für Thun­fisch tue ich alles, aber weil Thun­fisch irgend­einen Quack­salber enthält, der für Katzen nicht gesund ist, hat mein Frau­chen beschlossen, dass ich nur einmal die Woche einen Happen bekomme. Und zwar an jedem Freitag, wenn Frau­chen von der Arbeit kommt und das Wochen­ende einläutet mit Thun­fisch für mich und einem Gläs­chen Sekt für sie.
Dieser Freitag, der war gestern und dennoch liegt ein Hauch von Thun­fisch in der Luft. Bei meinem Streif­gang durchs Arbeits­zimmer loka­li­siere ich: Dieser Duft weht eindeutig vom Schreib­tisch in Rich­tung meines detek­ti­vi­schen Näschens. Mit einem Satz lande ich neben dem Laptop meines Herr­chens, der nur erstaunt eine Augen­braue hebt und „na“ murmelt, bevor er weiter in die Tasten drischt.
Ich mache es mir auf ein paar beschrie­benen A4-Blät­tern gemüt­lich, das Corpus Delicti stets im Auge: Ein braunes, läng­li­ches Päck­chen, das heute der Post­bote abge­geben und auf dem mein Herr­chen den schweren Glas-Brief­be­schwerer abge­stellt hat – ob absicht­lich dort oder rein zufällig, das entzieht sich meiner Kenntnis – aber dieses Päck­chen ist es: Es riecht ganz verfüh­re­risch nach meinem Lieb­lings­essen.
Thun­fisch an einem Nicht-Freitag! Das lässt mein Herz höher schlagen und jede Menge Wasser in meinem Mund zusam­men­laufen, sodass ich nicht aufhören kann, mir das Maul zu lecken. Aber wie kriege ich nun mein Herr­chen vom Schreib­tisch weg, um an und in diesen außer­tour­li­chen Genuss zu kommen?
Ich versuche es mit ein paar Ablen­kungs­ma­nö­vern. Lege meinen Kopf auf den Laptop, strecke meine Pfoten scheinbar unab­sicht­lich auf die Tastatur in der Erwar­tung, dass er – wie schon des öfteren – wie von der Tarantel gesto­chen mit dem Ausruf „So kann ich nicht arbeiten!“ seinen Laptop unter den Arm geklemmt aus dem Zimmer läuft und in der Küche weiter­macht. Aber heute nicht. Ein paar kleine Klapse auf meine schnee­weißen Pfoten sind seine einzige Reak­tion. Nun gut, ein paar Miaus könnten auch helfen. Norma­ler­weise deutet mein Herr­chen ein Miau als Zeichen, auf mein Futter vergessen zu haben und in der Folge Probleme mit Frau­chen zu bekommen und holt daraufhin schleu­nigst mein Fressen herbei. Aber heute funk­tio­niert auch das nicht. „Jetzt nicht, Elena“, murmelt er und tippt unver­drossen weiter.
Was jetzt? Ich springe auf das Fens­ter­brett und erblicke meine Rettung: Gloria, die Nach­bars­katze. Gloria hat immer verrückte Ideen und eine Lösung für jedes Problem. Ich erzähle ihr mein Dilemma.
Gloria, die keinen Thun­fisch mag, jedoch für gebra­tene Würst­chen sterben könnte, nickt verständ­nis­voll. „Ich bin gleich bei dir“, ruft sie.
Keine fünf Minuten später ist sie durch die Klappe in der Wohnungstür geschlüpft, betritt sieges­si­cher das Arbeits­zimmer und legt, vom Herr­chen unbe­merkt, eine tote Maus vor seine Füße. Ich lache mir ins Pföt­chen. Herr­chen ekelt sich vor Mäusen, das weiß auch Gloria. Und ihm ist außerdem klar, dass ich keine Mäuse anfasse, ich habe ja so meine Ansprüche. Gloria verschwindet genau so lautlos wie sie gekommen ist.
„Boah!“, schreit mein Herr­chen kurz darauf und springt elek­tri­siert vom Stuhl. „Elena!! Was soll denn das!!!???“
Ich schaue ihn unschuldig an, er schaut entrüstet zurück.
Wutschnau­bend stapft er in die Küche, um eine Mist­schaufel zu holen und das tote Tier zu besei­tigen. Das braune Päck­chen, es lässt sich leicht öffnen, meine Krallen tun gute Dienste, auch wenn sich der Brief­be­schwerer nicht von der Stelle bewegt. Das gute Ding ist nur in  Plas­tik­folie verpackt, ich wusste es, ein Leichtes mich hier durch­zu­beißen. Geräu­chert ist es auch noch, ein wahrer Gaumen­schmaus.
Vor den Augen von zwei häss­li­chen Siam­katzen aus dem Web verspeise ich die verbo­tene Köst­lich­keit gleich dort, wo sie zu liegen kommt: auf der Tastatur des Laptops meines Herr­chens. Es ist der beste Thun­fisch meines Lebens.

 

Elfchen über diesen Tag/Sonntag 29.9. am Morgen

Hell
die Wolken
sie gehen spazieren
ich schlecke Zucker­watte im
Traum.

 

Die Texte von Gabriela Fink sind im Work­shop „Schreiben mit und für Kinder“ bei Susa Hämmerle entstanden.