Der Panther – damals und heute
Texte von Sabine Rädisch und Sabine Spitzer-Prochazka
Ausgangstext:
Rainer Maria Rilke
DER PANTHER
IM JARDIN DES PLANTES, PARIS
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.
Sabine Rädisch
Meldung in der Nachrichten-App des Bayerischen Rundfunks vom 10. Oktober 2020
Paris. Am vergangenen Montag entdeckten Forschende des Pariser Naturkundemuseums im Jardin des Plantes einen Käfig mit einer bis dato unbekannten Raubkatzenart. Das pantherähnliche, schwarze Tier bewegte sich im Kreis und reagierte kaum auf Umweltreize. Es ließ sich widerstandslos aus dem Käfig führen. Erst der direkte Blickkontakt mit der Leiterin der Forschungsgruppe veranlasste das Tier zu einer Augenbewegung. Seine Verhaltensauffälligkeit wird auf Dehydrierung und die nicht artgerechte Haltung zurückgeführt. Die französische Polizei ermittelt.
Sabine Spitzer-Prochazka
Sind Tiergärten noch zeitgemäß?
Eine Notiz zu Rilkes Panther
Einen Augenblick lang fühle ich mich ins 13. Jahrhundert zurückversetzt. Im Reifrock stehe ich mitten n Paris, genauer im Südosten, am Ufer der Seine, im botanischen Garten. Mitten im Grünen, aber vor mir ein schmaler Käfig mit dicken Eisenstäben. Dahinter zieht ein schwarzer Panther seine Kreise. Der kalte, trostlose Raum wird der Schönheit des Tieres nicht gerecht, das sich auf riesigen Pfoten fortbewegt: von links nach rechts, von rechts nach links, monoton im Takt. Sein mächtiger Schädel pendelt hin und her und wenn ich einen Blick in seine leuchtend gelben Augen erhasche, vermeine ich, seine brennende Sehnsucht nach Freiheit zu spüren.
Zurück im Hier und Jetzt finde ich mich in Jeans vor dem Raubtierkäfig in Schönbrunn wieder. Und da ist auch der schwarze Panther. Sein Raum ist nicht kalt und leer, sondern stellt die Miniversion eines üppig begrünten Regenwaldes dar. Doch wenn ich einen Blick in seine leuchtend gelben Augen erhasche, sehe ich darin die gleiche Sehnsucht brennen, wie bei seinem Kollegen in Paris.
Hat sich wirklich so wenig verändert in 150 Jahren? Sperren wir immer noch Tiere ein, um uns an Ihnen zu erfreuen?
Die Texte von Sabine Rädisch und Sabine Spitzer-Prochazka sind im Schreibworkshop “Journalistisches Schreiben für Autor:innen” mit Claudia Dabringer entstanden.