Einige Puzzle­steine meines Lebens

Ein Text­aus­schnitt von Christa Bacovsky aus MOSAIK

Sonnen­auf­gang

Hinter dem pyra­mi­den­ar­tigen Berg auf der gegen­über­lie­genden Seite des Seeufers steigt exakt über der Berg­spitze die Sonne empor. Bevor ihre Scheibe zur Gänze zu sehen ist, schickt sie schon erste Strahlen und wirft einen Licht­streifen auf den dunklen Vier­wald­stätter See.

Auf diesem Streifen schwimme ich früh am Morgen weit hinaus und lasse die Puzzle­steine meines Lebens Revue passieren, ehe ich sie versenken werde.

Jeden Tag ein paar von ihnen – es sind so viele.

Mag sein, dass ich von ihnen geprägt bin, aber ich muss sie nicht mit mir herum­schleppen, da es doch eine Gegen­wart und eine Zukunft gibt: Ein neues Puzzlebild.

 

Nackt

Nach dem Krieg lebten wir zu viert, meine Eltern, Groß­mutter und ich in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Meinen Vater sah ich nie nackt. Ich weiß nicht wie er das geschafft hat. Ich wohne jetzt nicht mehr bei meinen Eltern, sondern mit meiner Familie in vier Zimmern und in jedem davon bin ich schon nackt gewesen. Meinen Mitbe­woh­nern ist das vermut­lich nicht verborgen geblieben. Was meinem Vater gelang, bringe ich nicht fertig. Aber ich bemühe mich auch nicht darum.

 

Fron­leich­nams­pro­zes­sion

Die Zwei-Zimmer-Wohnung befand sich in einem Miets­haus im 3. Bezirk, Löwen­gasse. In der Haus­be­sor­ger­woh­nung lebten zwei bigotte Schwes­tern. Zur Fron­leich­nams­pro­zes­sion war unser Haustor eine der Stationen. Im weißen Kleid und mit gedrehten Stop­pel­lo­cken defi­lierte ich im Prozes­si­onszug daran vorbei. Wir hatten den schönsten Altar, den üppigsten Blumen­schmuck. Adrett heraus­ge­putzt standen die beiden Schwes­tern links und rechts des Altars und hofften, dass er Gott gefallen möge und selbst­ver­ständ­lich auch dem Herrn Pfarrer. Sie liebten Gott über alles. Kinder mochten sie weniger. Zu ihnen konnten sie sehr unchrist­lich sein.

 

Der Pfarrer

Den Pfarrer liebten die Schwes­tern natür­lich auch. Als er ein Pant­scherl mit der Reli­gi­ons­leh­rerin anfing, liebten sie ihn schon ein biss­chen weniger. Und die Reli­gi­ons­leh­rerin, die Hexe, die den armen Pfarrer verführt hatte, hassten sie mit Inbrunst. Trotzdem spra­chen sie oft von Nächs­ten­liebe und verbrachten viel Zeit mit Beten.

 

Der Hund

Für unsere engen Wohn­ver­hält­nisse war ein Hund denkbar unge­eignet. „Nur einen kleinen“, bettelte ich. „Ein kleiner Hund ist kein Hund“, bellte meine Mutter. Im Grunde genommen war für sie nur ein Schä­fer­hund ein rich­tiger Hund. Alles andere entweder Krepierln, Kälber oder Staub­wedel auf vier Beinen.

Eines Tages lief mir eine ausge­hun­gerte Stra­ßen­mi­schung nach, die sich nicht abschüt­teln ließ. Viel­leicht war ich auch nicht rigoros genug in meiner Abwehr­hal­tung. Unter Tränen bat ich zu Hause um Asyl für den schwarz­braunen Unde­fi­nier­baren. Es gelang mir, meine Mutter weich zu kochen. Und sie kochte nun nicht nur für meinen Vater, die Groß­mutter, für mich und für sich selbst, sondern auch für den Hund.

Kochen war für meine Mutter nach dem Krieg Ausdruck einer Welt, die nach vielen Entbeh­rungen langsam wieder in Ordnung kam. Wer keinen Hunger hatte, oder nicht aufaß, bekam massive Probleme mit der Köchin. Das Essen musste gewür­digt werden und das stellte man am besten unter Beweis, indem man Unmengen davon verschlang. Der Hund machte meiner Mutter dies­be­züg­lich nie Probleme. Er wurde in kürzester Zeit groß, stark und kräftig, zog alsbald meine Mutter an der Leine über den Rand­stein. Sie verstauchte sich den Knöchel und der Hund musste weg.

Ich heulte mein Kopf­kissen nass und wusste, später würde ich meinen eigenen Hund haben. Hatte ich auch. Er hieß Marco und war – ein Schä­fer­hund. Schwarz­braun gefleckt. Als er drei­zehn Jahre alt war, legte er den Kopf auf mein Knie, sah mich lange an, dann zog er die Stirn zusammen bis zwischen den Brauen ein senk­rechte Falte entstand, legte die Steh­ohren zur Seite und starb. Danach wollte ich nie wieder einen Hund.

 

Weitere Texte von Christa Bacovsky finden sich in der Lehr­gangs­pu­bli­ka­tion „Mosaik“ (heraus­ge­geben von Martina Bach­trögler und Sabine Wagner-Fass­mann), die im März 2019 bei Fabrik Transit erscheint und bei der Abschluss­le­sung am 16. März im Café Museum präsen­tiert wird.

 

Christa Bacovsky

antwor­tete einmal auf die Frage, warum sie schreibe: „Ich vergesse nicht zu atmen. Mit dem Schreiben ist es genauso.“ Sie lebt abwech­selnd in Gablitz, NÖ (A) und Luzern (CH). „Im Zug schreibt sich Lyrik und Prosa am zügigsten.“ Sie versucht aber auch andern­orts die passenden Worte an die rich­tige Stelle zu setzen. „Inspi­ra­tion ist überall.“

Veröf­fent­li­chungen: „Die Welt will getragen werden“ Poem und Prosa, erscheint 01/2019, „Die vielen Wesen in mir“ Erzäh­lungen, Memoiren-Verlag Bauschke, Beiträge zu Antho­lo­gien und Publi­ka­tionen. 2017 Gurk­taler Lite­ra­tur­preis des Landes Kärnten.

Sie ist Teil­neh­mende des Lehr­gangs Schreib­päda­gogik 2018/2019.