Erinnerungen an Taubenstein
Ein Beitrag von Maria Aschenwald mit einer Illustration von Andrea Zámbori
Das „Haus am Taubenstein” liegt auf 1500m Seehöhe. Es ist mit Holzschindeln verkleidet. An den vier Ecken gibt es Metallröhren, die vom Dach zu Boden führen. Mein Vater sagt, das sind Blitzableiter, sagt sie würden davor schützen, dass der Blitz einschlägt.
Ich streife ums Haus und entdecke, dass diese metallenen Gestänge Löcher haben. Ich liege im Bett, ich höre es donnern, immer wieder erhellt sich der Raum durch einen Blitz. Ich habe furchtbare Angst, dass der Blitzableiter kaputt ist, ein Blitz einschlägt und das Haus zu brennen anfängt.
Rund um das Haus sind Almwiesen und etwas weiter entfernt Berge. Ein Pfad führt über sumpfiges Gebiet von einem Bergsattel zum Haus. Es gibt einen Zaun, der die Wiesen direkt um die Hütte von den Almwiesen trennt. Hansi, unser Maulesel, der die Lebensmittel und andere Lasten aus dem Tal zur Hütte trägt, weidet außerhalb des Zauns.
Meine Cousine und ich sollen das Gatter öffnen und ihn hereinlassen. Wir bekommen die strenge Anweisung, uns beim Öffnen hinter das Gatter zu stellen.
Es herrscht große Aufregung. Ich schaue aus dem Fenster und sehe, wie mein Vater und mein Onkel das Tier schlagen. Ich verstehe nicht warum, es tut mir so leid. Ich sei unter dem Maulesel zu liegen gekommen, weil ich vor ihm davongelaufen und hingefallen bin. Aber mir ist doch nichts passiert! Warum wird Hansi, den ich so gern habe, jetzt so geschlagen?
Vor dem Haus steht ein Gestell mit zwei Schaukeln. Eine, in die man ein Kind hineinsetzen kann mit einem Gurt zum Zumachen, für meinen kleinen Bruder. Eine, die nur ein Brett hat, auf dem ich sitze und schaukle.
Man sieht zum Küchenfenster, es ist offen. Ich schaukle und sehe meine Mutter in der Küche. Rund um das Haus, auf der Wiese mit den Blumen, Steinen und Sträuchern, spielen viele fremde Kinder.
Ich rufe zu meiner Mutter: „Ich habe Hunger!” „Später bekommst du etwas, es ist so viel zu tun!” Ich habe das Gefühl, dass alle anderen Kinder zuerst versorgt werden. Sie sind Gäste, meine Eltern die Wirtsleute. Sie haben Stress.
Irgendwann gibt mir meine Mutter ein Stück Kuchen aus dem Küchenfenster – es ist Marmorkuchen.
Wenn man vom Eingang des Hauses geradeaus blickt, sieht man die Rotwand, ein Berg gegenüber. Auf halber Höhe gibt es Almen. Der Weg zu diesen Almen führt durch einen Wald mit knorrigen Bäumen und moosbedeckten Findlingen, er heißt bei uns der Zauberwald und auf dem Weg dorthin wächst wilder Schnittlauch.
Maria Aschenwald, 2020
Aus dem BÖS-Workshop “Text und Bild / Text als Bild” mit Andrea Zámbori und Günter Vallaster (Buchillustration & Visuelle Poesie).
Erschienen in: Schriftlinien. Transmediale Poesie. Wien: edition ch 2020.
Der nächste Workshop “Text und Bild / Text als Bild” findet am 23.–24. Jänner 2021 statt, Anmeldungen sind bereits möglich.
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