Im Kaffeehaus schreiben
Texte von Ilona Bürgel und Norma Sars
Ilona Bürgel
Was mir das Kaffeehaus bedeutet
Am besten gefällt mir der Gedanke, dass es ein Ort der Zwecklosigkeit sein könnte.
Ja, ich gehe auch zum Frühstück hin, zur Belohnung nach einem langen Spaziergang an der Elbe. Oder weil ich die besonderen Brötchen genau in diesem Kaffeehaus mag. Essen ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen und im Kaffeehaus ist dies unabhängig von der Tageszeit immer möglich. Es ist auch besonders einfach, allein das Kaffeehaus zu besuchen. Ich nehme dies anders als in einem Restaurant wahr.
Zwecklosigkeit ist einfacher gesagt, als umgesetzt. Meistens habe ich ein Buch dabei – um es zu lesen. Ich kenne auch kein Kaffee in Dresden, was heute noch inspirierende Zeitschriften für Lesehungrige zur Verfügung stellt. Es gelingt mir immer besser ‚das Smartphone in der Tasche zu lassen. Die Schreibutensilien sind manchmal ein Alibi, um nicht einfach so dazusitzen. Obwohl ich nicht immer, aber oft, gern einfach so da sitze.
Früher habe ich mich allein im Kaffeehaus manchmal wie „bestellt und nicht abgeholt“ gefühlt, übriggeblieben. Heute bin ich sehr gern mit mir. Manchmal genieße ich auch, dass ich schreibend irgendwie faszinierend wirke.
Ich kenne eine Kollegin die bekanntgegeben hat, immer montags von bis in einem Kaffeehaus anzutreffen zu sein und sich freut, wenn jemand dazu kommt. Davon werde ich mich inspirieren lassen.
Zwecklos einfach so dazusitzen gefällt mir besonders gut, wenn ich zuvor als Stammgast begrüßt wurde. Ein Ort der Bildung wäre schön. Dann brauche ich das Buch wieder. Weil ich die Technik, die meinen Büroalltag beherrscht, fernhalten möchte. Ich treffe auch gern liebe Menschen. Mehrere gleichzeitig strengen mich schnell an. Weil ich meine Aufmerksamkeit sehr fokussiert einsetze. Das immer lautere Sprechen, je mehr Menschen an einem Tisch sitzen, kostet mich Energie. Einfach so am Tisch mit anderen schweigend sitzen ist auch eine feine, wenn auch ungewöhnliche Idee.
Ja, ungewöhnlich darf es für mich sein, das Kaffeehaus. Am besten gelingt das zwecklos.
Norma Sars
Aus den Almanachen des KatzenMathias‘[1]:
Kristiania[2] 1912
Der Bettlerliterat Señor N.C. del Gato
Am Fenster im Grand Café, vom Menschentrubel abgeschirmt, und dennoch einen angenehmen Überblick, war sein Platz, und wenn er nicht da war, wurde seine Abwesenheit mit verwirrtem Murmeln bemerkt. Dort verbrachte er täglich Stunden, im Schreiben und in seinem Kaffee vertieft. Die Tageszeitungen, die immer rechts auf dem Fensterbrett lagen, betreute er würdevoll. Die Herrschaften konnten sich keineswegs mit den Nachrichten bedienen, ohne den Señor Gato gnädig um Erlaubnis zu bitten. So hatte er jeden Tag seine kleine Vergnügung, den Herrn über die Weltnachrichten zu spielen, – jedenfalls spielte sich die Welt so im Grandcafé ab, und der Kater war von Natur aus für diese Rolle wie maßgeschneidert. Viel mehr hatte Señor del Gato mit den anderen Gästen nicht zu tun, und so war es ihm auch behaglich. Er bevorzugte ein Beobachter, und kein Protagonist im regen Leben des Cafés zu sein.
Für gewöhnlich war Señor del Gato erst ab Nachmittag auf seinem Fensterbrett im Grand Café zu sehen. Die frühen Stunden des Tages benötigte er, um sich an die Welt (und sie sich ebenso an ihn) zu gewöhnen. Stets auf seinen Pfoten unternahm er ausgiebige Streifzüge kreuz und quer durch die Stadt. Ein dunkler Schatten, der unersättlich das heitere Marktleben, Milchweiber, Schweinemast, Schlachterblut und schwer parfümierte, eilige Damenschritte, die ihrem Brotberuf nachgingen, musterte, lauschte, inhalierte aber vor allem analysierte. Die Stadt verstand Señor del Gato als sein Forschungsfeld, und er gelang stets zu neuen Einsichten über das Menschendasein. Gelegentlich hielt er an, kritzelte ein paar Aufzeichnungen von besonderer Wichtigkeit für seine Untersuchungen in sein Heft und verwöhnte sich mit ein paar tiefen Zügen aus seiner Pfeife. Heute, am Samstag, war sein Tabak immer hervorragender Qualität, ein starker, süßlicher Genuss, bei dem seine Seele frohlockte, und der Kater empfand eine große Erheiterung daran, endlich wieder im Kaffeehaus ungestört seine Beobachtungen aufs Papier zu bringen.
Mit den Jahren und dem stetigen Herumstreunen, wirkte sein Fell am Nachmittag eher grau und schwer, auch wenn del Gato wie immer sehr sorgfältig seine frühmorgendliche Fellpflege erledigte. Niemals verließ er seinen Raum, ohne blaublitzend eingeölt zu sein, aber der städtische Feinstaub im Winter machte es ihm schwer seine Feinheit zu behalten und der Frost zog eisig durch seine Schnurrbarten – also besuchte er, wohl angekommen im Grand, für gewöhnlich erst Spiegel und Waschbecken, bevor er zu der Allgemeinheit emporstieg und sich mit Eleganz und Würde zu seinem Fensterplatz begab. Unter den Stammgästen hieß dieses Ritual ‘der Kater kommt von der Maske‘.
Wäre sein Fensterplatz nicht frei – was nur ausnahmsweise der Fall war – erniedrigte er sich niemals die simplen Unannehmlichkeiten zu beklagen, das wäre unter seiner Würde. Zwar mürrisch, aber mit aufrechtem Stolz verließ er das Grand, und da sein Herz kein zweites Kaffeehaus begehrte, ging er schnurrenstrax in seine Garcionere, die sich in den oberen Etagen eines einstmals noblen Hauses auf der unteren Carl Johan-Straße befand. Vom Caféhaus aus war es ihm in der kalten Jahreszeit gestattet, die Nachrichten von gestern mitzunehmen, sie waren als Fenstervorleger oder als wärmende Schuheinlagen für Notbedürftige gut anwendbar. Schließlich verkaufte auch Ibsen seine Catilina[3] als Schuheinlagen bevor er zu Ruhm und Geld gekommen war. Ibsens Bestattung einige Jahre vorher, wurde in Kristiania mit königlichem Beifall gefeiert – und eines war dem Kater gewiss – seine eigene würde auch auf Staatskosten gehen. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen dem Kater und Ibsen war natürlich ihr regelmäßiges Erscheinen im Grand Café, das sowohl von Ibsens Räumlichkeiten auf dem oberen Carl Johan, wie auch für den Kater, der im unteren Bereich der Straße wohnte, sehr gut erreichbar war.
Mit den Jahren war der Kater als Teil des Inventars im Grand zu rechnen, wie auch die silbernen Teelöffel in der Tortenvitrine oder die Pianistin, die sich ebenfalls in den späten Nachmittagsstunden einfand, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen, bevor die Abendgäste ankamen. Auf dem Fensterbrett im Grand Café wurde er Zeuge großer Werke – von Bach und Beethoven über Grieg und Rachmaninow, bis zu gelegentlich grauenhaften atonalen Schandtaten von Obstfelder & Co. Der Kater hielt nicht viel vom Modernen – es war zu murren– dagegen bewegte ihn das konservative, standhafte, zu schnurren. Und das konnte ihm niemand vorwerfen, er gehörte ja auch zur Gattung der Gewohnheitstiere.
Er kam immer gegen vier, verlangte seinen Kaffee mit Sahne samt zwei Zucker (mit denen er als Glücksritual die goldenen Perlen im Kaffee sammelte und einnahm, ehe die Sahne eingegossen wurde). Seinen Kaffee nippte er mit vornehmen Gesten, tadelfrei ruhig und beherrscht, während sein Stift hastig und sicher über das Papier glitt. An trüberen Tagen, wenn nichts Nennenswertes zu berichten war, schrieb sich sein Stift in andere Zeiten hinein, Zeiten lange vor Grand und Kristiania, damals als el Señor in seinen jüngeren Leben als Bodega-Kater in Andalusien diente, damals als Weiber, Wein und Träume noch vor seinen Pfoten flossen und seine Augen im virilen gelben Licht der Flamenconächte blitzten.
An helleren Tagen konnte er sich stundelang über seinem Kaffee in schweren Analysen der Kaffeehauskreaturen vertiefen. Während die Hauskatzen hinter den Wohnungsvorhängen lauerten, saß er friedlich da und betrachtete die Fremden, die Schrägen und die Paradiesvögel, die bei seinem Fenster vorbeiflitzten. Die Fragmente der Stadt, der Abschaum, verregnete Tauben und div. weitere Trivialitäten da draußen auf dem Trottoir, schien dem gewöhnlichen Cafébesucher weniger zu beschäftigen–insofern seine Serviette unbefleckt blieb. Von Zeit zu Zeit fand auch der eine oder andere Bettler seinen Weg ins Grand, spuckte mit Kautabak verzierten Phrasen aus dem Mund, um zu einem Schilling oder einer Tschick zu gelangen, vorwiegend ein schwieriges Unterfangen, und besonders im Grand.
Nein, wohin die Winde der Stadt als nächstes wehten, beschäftigte den allgemeinen Cafébesucher nicht.
Aber der Kater fing an zu schreiben:
Es war in jener Zeit, als ich in Kristiania herumging und hungerte, in dieser seltsamen Stadt, die keiner verlässt, ehe er von ihr gezeichnet worden ist[4]
Und so ergab es sich, dass der alte Kater in seinem 9. Leben sein Lebenswerk als Bestseller verkaufen konnte und demzufolge reichlich mit Jubel und Ruhm hätte genießen können. Dennoch verließ der Kater mit mürrischem Schweigen Kristiania, um wieder sein Schattendasein in südlicheren Gefilden in Ruhe genießen zu können.
Und wenn ich mich nicht irre, meine ich ganz bestimmt, Señor del Gato gestern in den späten Nachmittagsstunden mit Melange und Schreibheft am Fensterbett (da wo die Zeitungen rechts liegen) im Café Prückel auf der Wiener Ringstraße gesehen zu haben, begleitet von Beethovens 9. am Klavier.
[1]Die Almanache von Katzenmathias wurde 1997 in den Kellerräumen der Kathedralschule (Umgspr.‘Katten‘, norw. die Katze) in Oslo gefunden. Es handelt sich von nicht weniger als fünf Volumen hochliterarische Schriften, die das Leben der Bettlerliteraten im vergangenen Jahrhundert beschreiben. Überdies hinaus werfen die Schriften ein neues Licht über die Lebensverhältnisse der Bettlerliteraten heutzutage. Da die Almanache in Coden von Algebra und Runen verfasst worden sind, ist es den Wissenschaftlern an der Universität Oslo (UIO) nach Jahren intensiver Forschung, erst 2012 gelungen, die Aufzeichnungen zu entziffern. Señor el Gato ist der erste in der Reihe von bisher 113 entzifferten Texten. Der Text erschien zum ersten Mal am 14. Juli 2013 in der Oslo – Zeitung Morgenbladet . Wer der / die SchriftstellerIN war, der/die sich hinter dem Pseudonym Katzenmathias versteckt, bleibt ein Rätsel, obwohl es ein Verdacht gibt, dass es sich tatsächlich um eine Frau handeln kann…
[2]Ab 1925 Oslo
[3]Catilina: Ibsens erstes Stück, 1848
[4]Knut Hamsun ‘Hunger‘1888
Diese Texte sind im Schreibworkshop “Kaffeehausschreiben” mit Erika Kronabitter entstanden.