in zeiten eines tage­bu­ches – früh­ling 2020

Ein Beitrag von Brigitte Krech

In einem Geschäft werden die Regale nicht mehr aufge­füllt.
Ein Mann kauft für sein Enkel­kind alle Windel­pa­ckungen, auch die aus dem Lager.
die zeit einer unsicht­bar­keit beginnt
Abtau­chen in die eigenen vier Wände.
Alles Wich­tige zu Hause haben.
Das Leben draußen
Schauen, Stehen­bleiben, Auspro­bieren, im Dunkeln sitzen, Klat­schen
kommt wieder, sobald es so weit ist.
Nach­richten studieren.
Sonder­sen­dungen anschauen.

Ein Samstag. Ein sonniger Samstag.
Die Sing­vögel sind zurück­ge­kehrt.
Ein Blick auf Baum­kronen, die langsam ihr Grün zurück­for­dern.
Ein Star fliegt am Fenster vorbei.
Im Zimmer spielt Musik.
Klavier­klänge mischen sich mit der Ansage des Eier­ko­chers.
Ansonsten Alltags­struk­turen erfinden.
In den virtu­ellen Gesprä­chen geht es immer zuerst um Klopa­pier.
So viel geschieht. Wenig geschieht. Kaum geschieht etwas.
zeit zum gedankenfaulenzen.

Die 1. MNS-Maske im Super­markt um die Ecke holen.
Ein Mann gibt sie in Gummi­hand­schuhen aus.
Am späten Nach­mittag ein Spazier­gang an der Donau, vor einer Sonne, die behäbig unter­geht.
In der Nacht ein großer Voll­mond.
Der Größte in diesem Jahr.
Ein Tag vergeht.
In Wien hat es kurz geschneit.
Kein Flug­zeug am Himmel in Sicht.
Ein weiteres Zoom-Meeting.
Einen entlau­fenden Kater auf der Straße sehen.
Es ist windig und sieht nach Regen aus.
Später ändert sich das Wetter. Wind­still wird es.
Im Haus gegen­über hat es gebrannt.
Die Spuren sind auf der Fassade zu sehen.
Flammen müssen aus den Fens­tern, zerborsten, heraus­ge­tanzt sein.
Am Stra­ßen­rand liegt einsam verlassen eine Gesichts­maske. In hell­blau-weiß.
Verloren ist sie.

Am Morgen Zwie­beln und Knob­lauch für ein Omelette braten.
Später Video­kon­fe­renzen in der Küche neben dem Gemüse neben dem Obst.
Vorräte aus Konser­ven­büchsen stapeln sich zwischen Kaffee­ma­schine und Herd.
Nach dem Home Office nach dem Spazier­gang auf einem Baum­stamm sitzen.
Ein Mann mit zwei Pack­ta­schen am Fahrrad und einer längeren Schweiß­marke über­holt zum 2. Male.
Eine Schwa­nen­ko­lonie beob­achten. Sie tauchen die Köpfe in das Donau­wasser.
Drei Schwäne kommen näher. Ihr Blick fragt nach Brot.
die tage werden länger. die worte werden kürzer.

In der Apotheke eine FFP2 Maske kaufen.
Am Abend den letzten James Bond schauen.

Das 1. Mal wieder in einem Restau­rant sitzen. Frischen Spargel essen.
Das 1. Mal vor dem Eissalon Schlange stehen. Apfel-Zimt-Eis auspro­bieren.
Das 1. Mal zum Haare­schneiden. Geschichten austauschen.

Im Wald ein Reh sehen.
Der Holunder blüht.
Die ersten Erdbeeren sind schon rot geworden.

 

8. Juni 2020

Brigitte Krech ist Absol­ventin des Lehr­gangs Schreib­päda­gogik 2018/ 2019.