Märchen verdrehen
Texte von Nina Petrik
Playbook für Frösche (Der Froschkönig)
Was für ein wunderbarer Tag, dachte er und schaute beim Fenster hinaus auf den wohlgetrimmten Garten. Alles war so, wie es sein sollte: Die Diener hatten das Laub eingesammelt, die Beete gegossen, die Bäume gestutzt.
Er ließ seinen Blick zum großen Hibiskus schweifen. „Kurios“ dachte er, „da hüpfte doch eine goldene Kugel auf und ab. Jetzt ist sie da, dann weg, dann wieder da, dann wieder weg.“
„Heinrich!!“ rief er und sein Diener erschien lautlos hinter der tapezierten Türe. „Ja, Herr?“
„Was ist denn das da unten?“
Der Diener trat ans Fenster: „Das ist Eure Tochter. Sie spielt mit der goldenen Kugel, die eure Hoheit ihr zum 13. Geburtstag geschenkt haben.“
„Na dann ist es ja gut. Heinrich, sagen Sie ihr, sie möge sich demnächst zum Abendessen einfinden.“
Die Tafel war üppig gedeckt und alle saßen da: Die Königin, er selbst, nur seine Tochter kam verspätet. Er merkte sofort, dass etwas nicht stimmte, da sie ihm nicht in die Augen schauen konnte.
Da klopfte es. Der König sah zu seinem Diener und bellte: „Wer stört denn jetzt? Welches Geschäft kann denn nicht bis morgen warten?“
Die Türe ging auf und er schaute ins Nichts. „Kurios“ dachte er schon wieder. Dann wanderte sein Blick Richtung Boden und sah „Ja bitte was ist das denn? Eine Kröte? Kurios.“
„Guten Tag“, sagte diese und nahm Gestalt an, sich an den Tisch neben seine Tochter zu setzten.
„Was für ein Bürschchen“, dachte er sich, „frech!“. Seine Blicke brannten dem Frosch, der es sich mittlerweile am Tisch gemütlich gemacht hatte, ein Loch in die Haut.
Der Frosch blieb unbeeindruckt, richtig cool und – als könnte ihn kein Wässerchen trüben – sprach, er käme auf Einladung der Tochter. Der König schaute wütend zu ihr, die im selben Moment rot anlief wie ein frisch gekochter Hummer. Er spürte seinen Blutdruck steigen. „Was soll das!“ brüllte es aus ihm heraus und er war selbst überrascht über die Heftigkeit seiner Reaktion.
Die rote Tochter schweig. Da ergriff der Frosch – oder doch eine Kröte? – das Wort. Er habe die Kugel aus dem Wasser geholt und würde nun seine Belohnung einfordern: Tischchen, Tellerchen, Bettchen.
„Spinnst du!!!“ brüllte der König und Spucketropfen fegten über den Tisch. „Wer bist du, dass du denkst, du könntest zu meiner Tochter ins Bett? Du dahergelaufener Schlamm- und Fliegenfresser!!!“ Er spürte wie das Blut in seinen Ohren rauschte und überlegte sich ernsthaft, wie wohl Froschschenkel mit Knoblauchsauce schmecken würden.
Der Frosch saß ziemlich gelassen da, knabberte an einem Schnittlauchhalm, schob ihn mal in den linken Mundwinkel, dann wieder in den rechten. Die Ruhe des Frosches machte ihn rasend. Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte der Frosch plötzlich mit dem Schnittlauchhalmkauen auf und stützt sich mit seinen Vorderflossen auf den Tisch. Mit ganz ruhiger Stimme sagte er: „Ein mündlicher Vertrag ist bindend.“
Blitz und Donner, Pest und Seuche wünschte er diesem Gesellen. Die Tochter, mittlerweile blass und mit Tränen in den Augen, jammerte, „Papa! Ich mag ihn doch gar nicht. Ich wollte nur meine Kugel wieder.“
Der Zorn des Königs verrauchte als er in ihre wässrigen Augen schaute. „Kind, es ist ein Vertrag. Versprochen ist versprochen.“ Er spürte ihre Traurigkeit und ihre Verzweiflung und vor Mitgefühl drohte sein Herz zu zerspringen. Aber das war nur der Vater in ihm. Als König durfte er kein Mitleid haben. Als König müsse er streng und gerecht sein, er müsse dafür sorgen, dass sich alle, wirklich alle an die Regeln halten, sogar er selbst.
Also entschied er.
Der Frosch hüpfte froh ins Zimmer der Tochter, welche traurig und vom Vater enttäuscht, folgte.
Ihm tat das Herz weh, aber er ließ es sich nicht anmerken.
In der Nacht tat er kein Auge zu. Zwei Mal sprang er auf, um zu den Waffen zu greifen und den Strolch aus dem Zimmer seiner Tochter zu vertreiben. Jedes Mal schaffte er es bis zu Türe seiner Kammer, dann gewann der König in ihm wieder die Oberhand. Er ging zu seinem Bett, presste sich den Polster aufs Gesicht und schrie seinen Schmerz und Zorn in das Kissen, das schon viel Schmerz und Zorn gehört hatte, denn es ist nicht leicht Vater und König zu sein.
Als es dann endlich Morgen wurde, war er erleichtert. Der Vertrag war erfüllt. Nichts schützte diesen Unold mehr vor seinem Zorn…. außer die Liebe der Tochter.
Wie staunte er, als in der Früh ein recht ansehnlicher Prinz aus dem Zimmer des Mädchens kam, sich höflich bei ihm vorstellte und um die Hand der Tochter anhielt.
Er war übertölpelt worden, dachte er sich, „gut gespielt Kleines. Ich würde wohl zu jedem „ja““ sagen, solange er besser als dieser schlüpfrige Lurch ist, der da gestern an unserem Tisch saß.“
Hänsel und Gretel – Midlife
Wie wars denn? Geht es dir schon besser?
Grete, das braucht Zeit. Es hilft mir nicht, wenn du mich jede Woche dasselbe fragst.
Ich möchte doch nur helfen!
Wie damals, ich weiß, da hat ja alles angefangen. Glaub mir, ich wünsche mir manchmal, dass mich die Hexe gefressen hätte.
Hans!!
Nix Hans! Hör auf!
Du hör auf dir dauern die Schuld zu geben!
Ach, Grete. Lass es gut sein. Die Therapeutin sagt, dass so eine traumatische Erfahrung Zeit baucht zu heilen. Nur was soll da heilen, Grete? Wir haben die alte Frau umgebracht. Wir haben sie kaltblütig verbrannt und mit ihr alles, was sie hatte. Wir haben sie ausgelöscht.
Sie wollte uns töten!
Wirklich? Wollte sie das? Oder haben wir uns das damals eingeredet. Haben wir uns in unsere kindliche Phantasie reingesteigert?
Sie hat dich eingesperrt und immer wieder gesagt, dass sie dich vernaschen wird.
Ich bin mir einfach nicht mehr sicher, weißt du. Ich wünschte mir nur, sie hätte mich vernascht. Dann wäre ich ihr Opfer und nicht ein Mörder.
Hans!!! Hör auf! Ich war doch dabei!
Und hörst du nicht mehr die Schreie der alten Frau?
Nein, ich schlafe gut. Die Hexe hat bekommen, was sie verdient hat.
Grete, bei dir ist es eben anders. Du warst nicht eingesperrt, bist fett geworden, du hast die Ofentür nicht zugedrückt und gesehen, wie die Haut der Alten aufgeplatzt ist.
Hans, lass es gut sein! Ich bitte dich. Geh nur weiter in Therapie! Irgendwann wirst du es wie ich sehen können. Für mich, lieber Bruder, bist du ein Held. Ohne dich wären wir beide tot und vergessen und würden längst unter einem bemoosten Holz im Wald verrottet sein. Nur dir ist es zu verdanken, dass wir immer wieder nachhause gefunden haben.
Du, Grete, hast nach Hause gefunden. Ich bin immer noch im Wald, in dem Häuschen. Jeden Tag wache ich dort auf, rieche Lebkuchen und höre, wie das Feuer im Ofen knistert. Ich bin damals mit ihr mitgestorben, Grete. Und ich weiß, dass du das nicht verstehst. Also lass uns von was anderem reden. Wie geht es den Kindern? Ist Anton bei der Matheschularbeit durchgekommen?
Grete seufzt. Ja, alles ist gut, Hans. Du, Franz kommt grad heim, ich muss auflegen. Lass und morgen weiter telefonieren. Ich hab‘ dich lieb Hans!
Ich dich auch, Grete!
Die Texte sind im Rahmen des Schreibworkshops “Märchenverdrehen” mit Katja Renzler entstanden.