Arigato – Ursula Wiegele
Eine Rezension von Roswitha Perfahl
Mit bewundernswerter Leichtigkeit erzählt Ursula Wiegele in ihrem vierten Roman „Arigato“ von der jungen Vera, der nach dem verheerenden Erdbeben in Friaul 1976 zu den österreichischen Verwandten nach Villach geschickt wird und dabei Optanten und „Verräterinnen“, Heimkehrer und einen „falschen“ Großvater entdeckt. Der Text schwingt voll Poesie und erzählt nebenher die Geschichte des Kanaltals und der damit zusammenhängenden schmerzlichen, verdrängten und verheimlichten Vergangenheit, und wie sie in Ressentiments bis heute nachwirkt.
Brillant auch die Überlegungen zu Worthaptik und Spracherwerb: „Erbeben klingt hier so weich wie Erdbeere, fast fruchtig und süß … das Wort macht mir nicht Angst. Die deutsche Sprache weiß wenig davon, was bei einem terremoto passiert.“
„… ich habe vom Garten erzählt, …und ich habe ihn schattenscheckig genannt. Im Heft kreuzen sich zwei rote Kulistriche mitten in diesem Wort … Die Lehrerin sagt, ein Wort wie schattenscheckig passe einfach nicht in einen Schüleraufsatz … Dichterinnen und Dichter dürfen das …“
Widerständig besteht Vera nicht nur auf dieser Sprachaneignung; es ist eine Freude, ihr in die Erwachsenenwelt zu folgen, auf die sie sich ihren eigenen Reim macht und der sie nichts, aber auch gar nichts, durchgehen lässt!
Ursula Wiegele hat eine starke, selbstbestimmte Mädchen- und Frauenfigur geschaffen, die immer alles klar benennt, was sie sieht, und sich nicht beirren lässt auf ihrer Entdeckungsreise durch die Familiengeschichte und ihre Gegenwart. Grandios!
Roswitha Perfahle, April 2021
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich.
Ursula Wiegele: Arigato
Salzburg-Wien: Otto Müller Verlag, 2020
195 Seiten
22,00 Euro
ISBN: 978–3‑7013–1280‑1