Das Journal der Valerie Vogler – Constantin Schwab
Eine Rezension von Tobias March
Der Roman ist als Tagebuch der Valerie Vogler angelegt. Auf den Anfangsseiten schon werden die Leser:innnen mitgenommen in ihre Gedanken- und Erfahrungswelt. Valerie Vogler ist die Ich-Erzählerin, eine Kulturjournalistin, die eine Woche lang in Spitzbergen ganz im Norden Norwegens zum gefeierten Künstlerkollektiv AURORA fahren darf. „Wie kann man nur freiwillig hier leben, hier arbeiten, wo es das halbe Jahr nicht hell und den Rest des Jahres nicht dunkel wird? Muss man hier vielleicht zwei Leben führen? Eines mit, eines ohne Licht?“ (S. 11). Die Geschichte spielt vom 5. November 2018 bis zum 11. November 2018, doch gegen Ende hin verschwimmen Zeit und Raum zu einem großen, nicht definierbaren Wahrnehmungsbrei. Was ist Realität und was ist Fiktion, fragt man sich am Ende des Buches.
Valerie Vogler wird eingeladen, das in der Kunstszene so gefeierte, und dennoch mystisch verbleibende Künstlerkollektiv AURORA sieben Tage lang in Spitzbergen zu besuchen und bei der Entstehung ihres neusten Werkes über die Schultern zu schauen. Natürlich muss sie diese einmalige Chance annehmen. AURORA selbst ist ein Rätsel. Der Kulturjournalismus weiß nicht, wie viele Menschen zum Kollektiv dazugehören. Gibt es so viele Mitglieder, wie es Buchstaben in AURORA gibt? Sind es die Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen, oder ist die Verwirrung bewusst gewollt? „Also schön, ich lag falsch: sie sind zu viert. Vier Künstler, vier Männer… ich hätte mir ein anderes Verhältnis erwartet, in einem skandinavischen Land. 50:50, mindestens. Aber gut, vielleicht auch deshalb diese betonte Anonymität, die Geheimniskrämerei – wo die Geschlechter nicht aufscheinen, kann auch kein Sturm zwischen ihnen wüten. Clever.“ (S. 14).
Die erste Bedingung des Aufenthaltes ist, dass Valerie Vogler ihr Handy abgeben muss. Die Werkstatt besteht aus sieben Räumen: Küche, Bad, Arbeitszimmer, zwei Schlafzimmer, ein Gästezimmer und ein unerwähntes, scheinbar leeres Zimmer. Die vier Künstler Lasse, Gunnar, Per und Henrik lassen Valerie Vogler näher an das Künstlerkollektiv herankommen, bauen Beziehungen zu ihr auf, sind aber auch äußerst merkwürdig in ihrem Verhalten. Das Verwirr- und Intrigenspiel zwischen den vier Männern und der Frau beginnt. Ihre nasse Unterwäsche muss sie auswinden, damit das neu entstehende Gemälde grundiert werden kann. Nachdem sie sich ihren Fuß verletzt hat, werden mit unendlich vielen Feuchttüchern alle Dreckpartikel und Blutpartikel abgewischt, die Tücher verbrannt und aus der Asche Farbe gemacht. Und als letzten Schritt wird die trockene Alkoholikerin Vogler vom Künstlerkollektiv mit Gin verlockt und betäubt, damit sie ihr Blut abnehmen und dieses zu den Ölfarben dazu mischen können.
Ob und wie Vogler entfliehen kann und was auf dem Bild gezeigt wird – „AURORAs Werk zeigt nicht die Apokalypse, nicht das Jüngste Gericht; es ist nicht der Munch‘sche Schrecken im Tod, den das Werk einfängt,…“ (S. 122) – lesen Sie in „Das Journal der Valerie Vogler“ des Wahlwieners Constantin Schwab.
Tobias March, August 2024
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich.
Constantin Schwab: Das Journal der Valerie Vogler
Graz: Literaturverlag Droschl 2022
128 Seiten
20 EUR
ISBN: 9783990590997
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