Frauen Literatur – Nicole Seifert
Eine Rezension von Barbara Rieger
Haben Sie schon einmal von dem Roman „Effi Briest” von Theodor Fontane gehört? Und wie sieht es mit „Aus guter Familie” von Gabriele Reuter aus? Beide Romane waren zur Zeit ihres Erscheinens im Jahr 1895 sowohl beim Publikum als auch bei der Kritik beliebt. Doch während die meisten von uns die erste Frage wohl mit einem Nicken beantworten werden, ist bei der zweiten Frage eher ein Kopfschütteln zu erwarten. Denn während Fontanes Werk Teil des Kanons wurde und ist, geriet das von Reuter in Vergessenheit. Warum das so passieren konnte, untersucht und erörtert die Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert im Kapitel „wie funktioniert Kanonisierung?”
Das Wort FRAUEN ist auf dem Cover nicht nur durchgestrichen, weil der Begriff „Frauenliteratur” nicht haltbar ist – schließlich ist sie genauso Literatur wie die von Männern geschriebene –, sondern auch, weil die Literatur von Frauen stets marginalisiert und unsichtbar gemacht wurde und noch immer wird, genauso wie die Literatur von People of Color oder queeren Menschen.
Bücher von Frauen werden beispielsweise nur halb so oft besprochen als die von Männern und bekommen dabei weniger Raum. In Literaturgeschichten nehmen sie bis heute einen lächerlichen Prozentsatz ein, obwohl es schreibende Frauen immer gegeben hat. Ihre Lebens- und Produktionsbedingungen unterschieden sich jedoch stark von denen der Männer und brachten somit eigene Perspektiven und Themen mit sich.
In einem Kapitel zeichnet Seifert Traditionslinien weiblichen Schreibens nach und arbeitet bestimmte Motive, Bilder und Metaphern, z.B. des Abgetrenntseins von der Welt (Wand, Glasglocke) des Eingeschlossen- und Unterdrücktseins oder das der madwoman in the attic heraus, „das in der Literatur von Autorinnen seit Jane Austen und bis heute variiert wird”. Darin „tritt die Antagonistin als alternatives Ich der Protagonistin auf, als ihr Schatten oder Spiegelbild, das all das ist und lebt, was diese nicht ist, nicht sein darf oder sich aufgrund internalisierter äußerer Erwartungen nicht zu sein erlaubt.” (S. 114)
Seiferts Sprache ist klar und das gesamte Buch äußerst spannend zu lesen. Die Autorin zitiert Studien, bringt Beispiele aus der Literaturgeschichte und aus der eigenen Leseerfahrung, erzählt von misogynen Erfahrungen zeitgenössischer Autorinnen und entkräftet fadenscheinige Argumente, wie das, dass alleine die Qualität zähle. Sie lenkt das Augenmerk nicht nur auf sexistische, sondern auch auf rassistische Strukturen im Literaturbetrieb. Und sie nimmt zahlreiche Werke von Frauen in den Fokus und macht Lust darauf, diese – endlich! – selbst zu lesen.
Ein Must-Read für alle, die mit Literatur zu tun haben.
Barbara Rieger, Februar 2022
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich.
Nicole Seifert: Frauen Literatur. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt
Köln: Verlag Kiepenheuer & Witsch
Erscheinungsjahr 2021
221 Seiten
EUR 18,00
ISBN 978–3‑462–00236‑2
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