Hippo­campus – Gertraud Klemm

Eine Rezen­sion von Petra Ganglbauer

Gertraud Klemm ist eine Meis­terin des Hervor­keh­rens von (trotz der schein­baren Aufge­schlos­sen­heit unserer Gesell­schaft) nach wie vor tabui­sierten Themen.
In ihrem neuen Roman geht sie knall­hart Berei­chen nach, die sich zwischen der Kritik am Lite­ra­tur­markt gene­rell und jener aus femi­nis­ti­scher Sicht aufspannen.
Doch geht die Autorin auch weit darüber hinaus, denn herein funkt das ganze (Negativ-)Universum von Geschlech­ter­ver­hältnis, fami­liären Struk­turen und (insge­samt) hier­ar­chi­schen Gesellschaftsstrukturen.

Anhand der Aufar­bei­tung von Leben und Wirken der verstor­benen und in ihren letzten Jahren dem Alkohol verfal­lenen, vom Lite­ra­tur­be­trieb enttäuschten und sohin auch daran geschei­terten femi­nis­ti­schen Autorin Helene Schulze, die posthum für den Deut­schen Buch­preis gehan­delt wird, tobt sich Gertraud Klemm lite­ra­risch aus, indem sie kein Blatt vor den Mund nimmt.
Elvira, Helenes Freundin und ehema­lige femi­nis­ti­sche Kampf­ge­fährtin, stößt beim Sortieren des Nach­lasses und der Uten­si­lien der Verstor­benen auf die uner­träg­li­chen Struk­turen der Medien- und PR-Maschi­nerie und wehrt sich, indem sie ein Inter­view abbricht, das eine Art Nachruf auf die Verstorben sein soll.
Was dann folgt, ist eine Art „Heldin­nen­reise“ bis nach Neapel, gemeinsam mit dem Kame­ra­mann Adrian. Elvira sprengt unter­wegs Normen und patri­ar­cha­li­sche Muster. Atemlos, poin­tiert, frech und poli­tisch enga­giert erzählt Gertraud Klemm die radi­kalen Ausritte, welche Elvira unter­nimmt, um die Biografie ihrer Freundin, ihre Repu­ta­tion zurecht zu rücken.

Gertraud Klemm agiert mit vollem Einsatz: Das Seepferd­chen, Hippo­campus, wird etwa beispiel­ge­bend einge­setzt, weil es das einzige Tier ist, bei dem die Männ­chen die Jungen austragen und gebären. Ein gelun­gener Streich, denn Klemm ist selbst auch Biologin. Gegen Ende des Romans, in Neapel, gelingt ein weiterer Genie­streich, als Elvira, da „es ein Fluch ist, als Frau geboren zu sein“, sich unter anderem inmitten all der antiken Kopu­la­ti­ons­szenen findet und etwas tut, was bis heute ein „NO GO“ ist!

Wie immer expo­niert sich die Autorin, indem sie ihren unge­heuren Sprach­fluss mit kriti­schen Aspekten anrei­chert; dennoch ist das Buch von der ersten bis zur letzten Seite span­nend und leicht lesbar.

Petra Gangl­bauer, Oktober 2019
Für die Rezen­sionen sind die jewei­ligen Verfas­se­rInnen verantwortlich.

Gertraud Klemm: Hippo­campus
Verlag Kremayr & Sche­riau, Wien, 2019
384 Seiten
EUR 22,90
ISBN 978–3‑218–01177‑8

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