GRATE – .aufzeich­nen­sys­teme

Eine Rezen­sion von Günter Vallaster

.aufzeich­nen­sys­teme, ihres Zeichens „eine figur, die der eigenen aufzeich­nung (text-bild-welten) entspringt, darin agiert, aus diesem heraus durch aufzeich­nung kommu­ni­ziert“ und die sich somit produktiv zwischen allen trans­me­dialen Ausdrucks­weisen bewegt und in der Folge Person, Werk sowie inter­me­diale Kommu­ni­ka­tion als Einheit setzt, präsen­tiert sich in GRATE mal ganz ohne Zeichen­feder, sondern – vorder­gründig – rein lite­ra­risch. Wobei in ihrem ästhe­ti­schen Konzept die jewei­ligen Ausdrucks­mittel, ob nun bildende Kunst, Lite­ratur, Sound oder Perfor­mance, gleich­be­rech­tigt auf einer Ebene bzw. im selben Raum liegen, stets produktiv mitein­ander verbunden und mate­ri­al­re­flexiv ausge­lotet werden. Im Bild kann immer auch das Wort enthalten sein und umgekehrt.

Die vier Abschnitte („Forma­tionen“) „Dampf“, „Starre“, „Licht“ und „Ton“ sind nahezu durch­gängig in knappen, meist nicht mehr als vier oder fünf Wörter umfas­senden Zweil­zei­lern gehalten, wie etwa „drei grüne fenster / gelbe schrift“ oder „ruhe finden / sehr genau“, wodurch höchste Konzen­tra­tion und Verdich­tung bei gleich­zeitig schwe­bender Leich­tig­keit erreicht wird. Diese Form verleiht GRATE einer­seits einen ruhigen, flie­ßenden, gleichsam medi­ta­tiven Rhythmus („es geht also weiter“, „für wasser und strom“), wodurch es zu einem Tor zur Suche nach Welt, Sprache und Ich gerät: „auf sich / einre­dend // ein mittel / zu spre­chen // auf faden­länge / schieben“. Ande­rer­seits vermit­telt sie auch ausdrucks­stark Brüchig­keit und Stocken, was durch einzelne einzei­lige Inter­ven­tionen noch verstärkt wird: Eine poeti­sche Grat­wan­de­rung auf den Graten der Extreme, die Gegen­sätz­li­ches span­nungs­voll zusammenbringt.

Dahinter steht ein Prinzip der Décol­lage, die ursprüng­lich als Abreiß­technik aus der bildenden Kunst kommt, um an über­ein­an­der­ge­kle­beten Plakaten untere Schichten frei­zu­legen und sie in das Bild einzu­be­ziehen. .aufzeich­nen­sys­teme decol­la­giert ihre Aufzeich­nungen und Notizen und verknappt, verkürzt, verdichtet sie dadurch. Aus flüch­tigen Andeu­tungen entspinnen sich auf diese Weise riesige Asso­zia­ti­ons­räume. Bei .aufzeich­nen­sys­teme tritt weiters noch der Aspekt einer gleichsam hapti­schen Mate­ri­al­be­zo­gen­heit zu Tage, die Erfor­schung des Sprach‑, Bild- und Klang­ma­te­rials unter Einbe­zie­hung aller Sinne – gewis­ser­maßen ein ganz­heit­li­cher Poesie­an­satz, in dem die lite­ra­ri­sche Ausein­an­der­set­zung zusätz­lich zur philo­so­phi­schen wird: .aufzeich­nen­sys­temes Arbeiten sind von einer inten­siven Beschäf­ti­gung mit fern­öst­li­cher Philo­so­phie, etwa dem Daode­jing, getragen. Dies macht GRATE nicht nur zu einem poeti­schen, sondern nach­ge­rade kontem­pla­tiven Erlebnis.

Günter Vallaster, Oktober 2019
Für die Rezen­sionen sind die jewei­ligen Verfas­se­rInnen verantwortlich.

.aufzeich­nen­sys­teme: GRATE
Klagen­furt: Ritter Verlag 2019
152 Seiten
EUR 13,90
ISBN 978–3‑85415–594‑2

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