Kinder kriegen. Repro­duk­tion Reloaded – Barbara Peve­ling, Nikola Richter (Hg.)

Eine Rezen­sion von Barbara Rieger

Dem eigenen Kinder­wunsch und dem der Partner*in nach­spüren, ihn hinter­fragen. Viel­leicht gar keinen haben. Den Umgang mit Schwan­ger­schaft thema­ti­sieren: Der Sex davor. Die Bezie­hung oder Nicht-Bezie­hung danach. Die blei­benden Verän­de­rungen des Körpers. Über Abtrei­bung nach­denken, über Fehl­ge­burten und über einge­fro­rene Eizellen. Und darüber, wie die Gesell­schaft Menschen, die schwanger werden können, unter­stützt, und wie es jenen geht, die selbst nicht schwanger werden können, Männern zum Beispiel.

Wie verhält sich ein Mann, der mit Kindern und einem anderen Mann zusam­men­leben will gegen­über der Leih­mutter seines unge­bo­renen Kindes? Wie lebt es sich als allein­er­zie­hende Frau? Wie reagieren, wenn jemand mit acht­und­vierzig Jahren noch ein Kind bekommt? Und wie gehen eine geistig behin­derte Frau und ihr Umfeld mit dem Kinder­wunsch um? Wie geht es einer Mutter mit ihrem hoch­sen­si­blen Kind? Wie wirkt sich Migra­tion auf eine Familie aus? Und wie fühlt es sich an, als Kind das falsche Geschlecht oder die falsche Haut­farbe zu haben?

Diese und andere Fragen werden in dem von Barbara Peve­ling und Nikola Richter heraus­ge­ge­benen Sammel­band aufge­worfen und aus unter­schied­lichsten Posi­tionen beleuchtet. Viele der vier­und­zwanzig beitra­genden Autor*innen bringen dabei persön­liche Erfah­rungen ein. Manche Beiträge sind narrativ, andere essay­is­tisch, viele poli­tisch. Auch ein lite­ra­risch inter­es­santer, kollek­tiver Text des Netz­werkes WRITING WITH CARE / WRITING WITH RAGE ist dabei. Dieser arbeitet mit verschie­denen Stimmen, mit der Typo­grafie und mit Zitaten, arbeitet sich frei von Tabus an Mutter­schaft ab: „Bringt alle Texte zurück. Alle Sätze zurück. Bringt mir alle Worte zurück, alle Sätze, alle Gedanken, die mir die Mutter­schaft aus dem Hirn gelöscht hat.” (S.332) – Viel­leicht erfüllt der Sammel­band diesen Impe­rativ. Die thema­ti­sche Band­breite ist jeden­falls beacht­lich und ein gelun­gener Quer­schnitt durch gegen­wär­tige Fragen zur Repro­duk­tion. Histo­ri­sches findet am Rand Platz. Einzig ein Beitrag, der sich aufgrund vermeint­lich wich­ti­gerer Probleme gegen das Gendern in der Sprache ausspricht, irri­tiert die Leserin.

Die Texte vermit­teln unter­schied­lichste Stim­mungs­lagen, darunter auch Trauer und Wut. „Dass es vielen Müttern in den ersten Jahren nach der Geburt ihrer Kinder mental und emotional schlechter geht als vorher, liegt nicht an ihren Kindern. Es liegt an den gesell­schaft­li­chen Struk­turen, die nicht für Frauen und erst recht nicht für Frauen mit Kindern gemacht wurden. Sondern von Männern für Männer”, schreibt Mareice Kaiser in ihrem Text „Das Unwohl­sein der modernen Mutter.” Das ist gleich­zeitig der Titel des von ihr im Früh­jahr 2021 bei Rowohlt erschienen Buches. Eines von vielen, die sich derzeit mit Mutter- bzw. Eltern­schaft auseinandersetzen.

Der Sammel­band „Kinder kriegen. Repro­duk­tion Reloaded” eignet sich bestens als span­nender Einstieg in die Thematik. Er regt zum Denken und nicht zuletzt zum (Mit-)Fühlen an.

 

Barbara Rieger, Juni 2021
Für die Rezen­sionen sind die jewei­ligen Verfas­se­rInnen verantwortlich.

 

Barbara Peve­ling, Nikola Richter (Hg.): Kinder kriegen. Repro­duk­tion Reloaded.
Edition Nautilus GmbH 2020
352 Seiten
20,00 EURO
ISBN: 978–3‑96054–253‑7

 

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