Sterben im Sommer – Zsuzsa Bánk
Wie fühlt es sich an, wenn man Spuren des Älterwerdens hautnah und ohne Filter an den eigenen Eltern miterlebt? Und wie verändert sich die Wahrnehmung auf das eigene Leben, wenn gemeinsam verbrachte Urlaubstage mit dem Vater gezählt sind, von denen man weiß, dass es die letzten sein werden?
Die Autorin erzählt von einem außergewöhnlichen Sommer am Balaton, der Heimat des Vaters. Jenem Sommer, der sich von allen vorherigen gravierend unterscheidet, die sie bisher allein oder mit der Familie verbrachte. Die Krebsdiagnose des Vaters bringt ihr Leben, das des Vaters und der gesamten Familie aus dem Gleichgewicht.
Es sind die letzten Tage einer Vater-Tochter-Beziehung, die alle möglichen Konflikte, die es möglicherweise einmal gegeben hat, ausblendet. Erzählt wird von einem wohlwollenden, behutsamen Miteinander in dieser kostbaren Endzeit des Vaters.
Ein Sommer zwischen Alarmbereitschaft und dem anhaltenden Szenario einer vorgespielten Normalität und Leichtigkeit. Während Kinder mit Wasserbällen im Balaton ungetrübt spielen, bewegt sich die Protagonistin, einer Pendelfigur gleich, in einem Dreieck aus Haushalt, Krankenhaus und Kinderbelustigung. An den raschen Rollenwechsel hat sie sich gewöhnt, ebenso an die vorgetäuschte Normalität.
In ihrem Rollenchaos ist sie nicht allein. Beinahe beruhigend wirkt der Umstand, dass zwei weitere Freundinnen im selben Zeitraum ihren Vater verloren haben. Sie erfährt weibliche Solidarisierung, eine Hülle aus beiderseitigem Trost und Beistand.
Feinsinnig lässt uns die Autorin an der Rückschau teilhaben, und an der langen Reise, die mit der Krebsdiagnose des Vaters eingeläutet wird, einer Reise des Abschiednehmens. Und es ist augenfällig, dass es wieder (nur) weibliche Personen sind, die diesen letzten Lebensabschnitt der Eltern bis zum Tod begleiten: Tochter, Mutter, Krankenschwester. Es sind jene Personen, die wichtige Care-Arbeit leisten, meist ohne Beachtung einer gewissen Self-Care-Arbeit, der Selbstfürsorge.
Zsuzsa Bánk, geboren 1965, arbeitete vor ihrem Studium der Publizistik und Politikwissenschaft als Buchhändlerin in Mainz/Deutschland. Ihr vorliegendes Buch, ein Zeugnis des Abschiednehmens, braucht mitunter Lesepausen, da es in seiner sprachlichen Wucht Lesende vereinnahmt. Unweigerlich fordert der Subtext dazu auf, sich mit eigenen biografischen Wendepunkten auseinanderzusetzen. Das Buch ist zugleich eine (nachtägliche) Liebeserklärung an den verstorbenen Vater und das ungarische Binnenmeer Balaton.
Cornelia Stahl, Juni 2021
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich.
Zsuzsa Banks: Sterben im Sommer.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2020.
240 Seiten
22,00 EUR
ISBN-13: 9783103970319
Cornelia Stahl ist Sozialökonomin und Absolventin des Lehrgangs „Schreibpädagogik“. Sie ist Redakteurin bei Litges.