MONSTROSA – Rhea Krčmářová

Eine Rezen­sion von Britta Mühlbauer

Isabella Vlcek will auf den großen Opern­bühnen singen. Weil der Musik­markt jedoch Sänge­rinnen nicht nur nach ihrer Stimme, sondern auch nach dem Body­mass-Index bewertet, bekommt die stark über­ge­wich­tige Isabella keine Enga­ge­ments.
Diäten, hungern, sich erbre­chen, alles schadet der Stimme. Isabella unter­zieht sich einer statio­nären Therapie, denn sonst wird ihre Gesangs­leh­rerin sie nicht weiter auf den Wett­be­werb vorbe­reiten, von dem Isabella sich einen entschei­denden Karrie­re­schub verspricht.
Die Thera­pie­gruppe in der psych­ia­tri­schen Klinik besteht aus fünf Frauen zwischen zwanzig und vierzig, zwei Männern und einem zwölf­jäh­rigen Mädchen. Die meisten sind zu Skeletten abge­ma­gert, hungern aber trotzdem weiter und nehmen Isabella als perso­ni­fi­zierten Kontroll­ver­lust, als Bedro­hung ihres eigenen, absurden Hunger-Projekts wahr. Isabella wird gemobbt und mit magi­schen Ritualen bekämpft.

Mons­trosa ist ein moderner Schau­er­roman und eine Gothic Opera. Er beginnt mit einer Ouver­türe, die Hand­lung glie­dert sich in drei Akte, es gibt zwischen­ge­scho­bene Chor-Partien in Wir-Perspek­tive. Musik-Kenner:innen finden Anspie­lungen auf Stücke aus dem Schauer-Reper­toire, z.B. auf Stra­win­skys Oper The Rake’s Progress. Die Play­list kann über einen QR-Code im Buch abge­rufen werden.

Rhea Krčmá­řová setzt die Genre­kon­ven­tionen des Schau­er­ro­mans gekonnt ein. Das Wetter ist unwirt­lich, die psych­ia­tri­sche Klinik hat schon bessere Tage gesehen, Isabella absol­viert ihre Gesangs­übungen in einer ehema­ligen Aufbah­rungs­halle. Gargoyls, Geis­ter­stimmen, eine herum­ir­rende Ophelia und Todes­fälle, über die niemand gerne spricht, und von denen es am Ende noch ein paar mehr geben wird, erzeugen von Anfang an eine unheim­liche Stimmung.

Als das immer grau­samer werdende Mobbing der Mitpatient:innen Isabellas Schmerz­grenze über­steigt, über­legt sie, die Therapie abzu­bre­chen. Doch dann ist es aus mit der Gesangs­kar­riere. Außerdem macht sie sich Sorgen um die minder­jäh­rige Elif, die ihren Beschüt­ze­rinnen-Instinkt geweckt hat. Die Corona-Pandemie knockt das medi­zi­ni­sche Personal aus. Isabella muss sich ganz alleine den diversen – eigenen und fremden – Mons­tern stellen, wie man es von der Haupt­figur eines Schau­er­ro­mans erwartet.

Und die Monster sind zahl­reich. Es sind die schwer fass­baren Gründe für Isabellas Essstö­rungen. Es sind ihre Mitpatient:innen, die sich zu einem Geheim­bund verschworen haben. Von außer­halb der Klinik mischen Influencer:innen mit, die ein tödli­ches Schön­heits­ideal vorgeben. Isabella versucht vergeb­lich, gegen das absurde, aber in sich logi­sche Glau­bens­system ihrer Mitpatient:innen zu argu­men­tieren. Am Ende unter­werfen sie sich einer Dead-but-skinny-Chall­enge.

Die im Klap­pen­text ange­kün­digte Verwand­lung Isabellas in ein Monster findet nicht nur meta­pho­risch, sondern tatsäch­lich statt. Dieser Wechsel ins Fantas­ti­sche ist ein erzäh­le­ri­scher Kunst­griff, der den jahre­langen Gene­sungs­pro­zess einer Essge­störten zeit­lich verkürzt und verdichtet sichtbar macht.

Dass Isabella nicht in Selbst­mit­leid versinkt, verdankt sie ihrem Humor und ihrer Selbst­ironie. Es gelingt ihr schließ­lich, eine Bezie­hung zu ihren Mitpatient:innen aufzu­bauen, was ihre Lage zunächst zu verbes­sern scheint. Die anderen erkennen in ihr eine Leidens­ge­nossin – und ziehen sie in den Wahn­sinn des Hungerns hinein.

Rhea Krčmá­řová beherrscht das Timing des Schau­er­ro­mans. Im Auf und Ab der Hand­lung und der Gefühle steht immer wieder ein mögli­ches Happy End im Raum – bis es durch den nächsten Rück­schlag torpe­diert wird. Das macht diesen Roman so span­nend zu lesen, dass man am liebsten (ich gebe zu, ich hab’s gemacht) zwischen­durch zum Ende voraus springen möchte.

 

Britta Mühl­bauer, im November 2023 

Für die Rezen­sionen sind die jewei­ligen Verfas­se­rInnen verantwortlich.

 

Rhea Krčřová: Mons­trosa
Wien: Kremayr & Sche­riau 2023
304 Seiten
25,00 EUR
ISBN 978–3‑218–01408‑3

 

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